Karl Nolle, MdL
Position - 2/02 - Magazin der SPD-Fraktion im SLT, 01.06.2002
Die letzten beiden Jahre
Die Chronologie eines langen Abschieds
Hans Kurt Biedenkopf ist zurückgetreten. Nicht aus freien Stücken, sondern weil die von ihm und seinem Tun ausgelösten Ereignisse ihm keine andere Wahl mehr ließen. Am 27. Oktober 1990 war er vom Sächsischen Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt worden - nunmehr ist er einfacher Abgeordneter. Eine Chronologie:
Februar 2000
Die SPD drängt darauf, die Hintergründe zur Vermietung des Leipziger Paunsdorf-Centers aufzuklären. 20 Fragen an die Regierung sollen klären, warum sich Ministerpräsident Biedenkopf (CDU) für den Kölner Großinvestor Barth und die Vermietung von Räumen an Landesbehörden im Paunsdorf-Center eingesetzt hat.
Der Landesrechnungshof hatte 1996 überhöhte Mieten und langfristige Mietverträge gerügt und auf Zusatzbelastungen für die Steuerzahler von jährlich rund 1,35 Millionen Mark hingewiesen.
April 2000
Der Landtag beschließt mit den Stimmen der SPD-Opposition die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses des Landtages, der sich mit den Vorgängen um das Paunsdorf-Center in Leipzig befassen soll. Es soll herausgefunden werden, ob Ministerpräsident Biedenkopf (CDU) und weitere Regierungsmitglieder auf den Abschluss von Mietverträgen Einfluss nahmen und dem Land somit Schaden entstand.
Mai 2000
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Paunsdorf-Center ist arbeitsfähig. SPD-Obmann im Ausschuss ist Karl Nolle, den entsprechenden Arbeitskreis der Fraktion leitet Gudrun Klein.
September 2000
Ministerpräsident Biedenkopf soll sich stärker für den Mietvertrag im Leipziger Paunsdorf-Center eingesetzt haben als bislang angenommen. Die Dresdner Morgenpost schreibt, Biedenkopf habe Finanzminister Milbradt Einzelheiten für den Vertrag diktiert. Das Blatt beruft sich auf ein
Schreiben vom Juli 1993, in dem Biedenkopf seinen Minister auffordert, den Vertrag schnell und mit einer Laufzeit von 25 Jahren auszufertigen. Der Büro-Komplex war von einem mit Biedenkopf befreundeten Kölner Bauunternehmer errichtet worden.
30. Januar 2001
Biedenkopf entlässt seinen langjährigen Finanzminister Georg Milbradt. Diesem wirft er vor, sich illoyal verhalten zu haben. Milbradt hatte seine Finger im Spiel um den Fraktionsvorsitz der CDU. Milbradt Freund und heutiger Finanzminister Horst Metz kandidiert gegen den Biedenkopf-Adlatus Hähle - aber unterlag knapp. Als dann noch, wie die Medien vermeldeten, Ingrid Biedenkopf bei ihrem Mann über Unarten des Finanzministers herzog (... trägt sein Handy selbst ....) reicht es dem Ministerpräsidenten. Er feuerte Milbradt - und bezeichnete ihn auch gleich noch als "miserablen Politiker".
Februar 2001
Biedenkopf bestreitet bei seiner Vernehmung vor dem Paunsdorf-Untersuchungsausschuss jegliches Fehlverhalten. Er habe nur eine Großinvestition nach Leipzig holen wollen. Dem Land sei kein Schaden entstanden. Bisher unveröffentlichte Dokumente der Oberfinanzdirektion Chemnitz sollen den Ministerpräsidenten belasten, meldet das Magazin "Der Spiegel". Zudem sollen Vermerke des Staatlichen Liegenschaftsamts mit Sitz in Leipzig zeigen, dass bei der Anmietung des Bürozentrums zuständige Behörden umgangen worden seien. Laut "Spiegel" geht aus diesen Vermerken hervor, dass das Liegenschaftsamt von einem persönlichen Referenten des Ministerpräsidenten und von einem Abteilungsleiter des Finanzministeriums zu dem Vertragsabschluss gedrängt worden sei. Das Gutachten der Oberfinanzdirektion belege, dass Rechtsvorschriften missachtet, keine Vergleichsangebote eingeholt und andere Immobilien nicht auf ihre Eignung zur Unterbringen der Behörden geprüft worden seien.
Februar 2001
Ex-Finanzminister Milbradt entlastet seinen ehemaligen Chef Biedenkopf in der Paunsdorf-Affäre. Er sagt vor dem Untersuchungsausschuss, dem Freistaat sei durch die Anmietung des Behördenzentrums in Leipzig-Paunsdorf kein finanzieller Schaden entstanden. Unter den damaligen Umständen sei die Entscheidung richtig gewesen. Die damals mit dem Kölner Bauunternehmer Barth ausgehandelten Mietkonditionen hätten der Marktlage entsprochen.
März 2001
Ein ehemaliger Abteilungsleiter im Finanzministerium sagt vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass Biedenkopf sich zwischen Juni und November 1993 wiederholt für den raschen Abschluss von Mietverträgen stark gemacht hat. Er widersprach damit Biedenkopf, der bei seiner Vernehmung den Vorwurf der unzulässigen Einflussnahme zurückgewiesen hatte.
April 2001
Die Putzfrauen-Affäre kommt ins Rollen: Die "Morgenpost" berichtet über die Verschwendung von Steuergeldern. Die Putzfrau der Biedenkopfs werde aus dem Staatshaushalt bezahlt. Die SPD kündigt daraufhin eine Prüfung an. Biedenkopf und seine Frau Ingrid wohnen in einer 1983 als Gästehaus der Staatssicherheit errichteten Villa (Monatsmiete: 1.857,03 Mark warm, 15 Zimmer). Das Gebäude diente als Biedenkopf-Wohnsitz und als Gästehaus der Staatsregierung. Nach Zeitungsangaben stehen die Putzfrau und fünf weitere Beschäftigte der Villa auf der Gehaltsliste der Staatskanzlei. Regierungssprecher Sagurna sagt der Zeitung, die Mitarbeiter kosteten dieses Jahr rund 300.000 Mark.
April 2001
Biedenkopf gerät unter politischen Druck. Es geht um seine Dienstwohnung im Gästehaus der sächsischen Staatsregierung in der Dresdner Schevenstraße sowie um die privaten Nutzung von Dienstwagen. Er soll zu wenig Miete bezahlt haben und noch immer bezahlen. Ein Bericht der Staatskanzlei entlastet Biedenkopf zunächst: Seine Wohnung sei kleiner als angenommen. Der Bericht wird wenig später durch den Finanzminister revidiert.
Mai 2001
Die Ehefrau des Ministerpräsidenten soll einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge im Gästehaus der Staatskanzlei Jahre lang eine "schwarze Kasse" geführt haben. Quelle ist ein Gutachten von Ernst & Young zur Kasse in der Schevenstraße, indem die Gutachter die nicht vorhandene Belegverbuchung von Ein- oder Ausgangszahlungen dokumentieren und steuerliche, lohnsteuerliche und sozialversicherungsrechtliche Probleme ansprechen, die durch die Bezahlung von Schwarzarbeit ohne Belege für Aushilfspersonal aus der Kasse entstanden sind.
25. Mai 2001
Der Rechnungshof legt Ergebnisse der Prüfung Staatskanzlei/Schevenstrasse vor und kritisiert Anmietung und Bewirtschaftung der Schevenstrasse, fehlendes Raumnutzungskonzept, erhebliches jährliches Defizit, zu geringe Miete, falsche Wohnungsgröße und die kostenlose Inanspruchnahme von Servicepersonal und kommt zu Nachforderungen an den Ministerpräsidenten von einigen hunderttausend Mark.
18. Juni 2001
Der SPD-Abgeordnete Nolle erstattet Strafanzeige gegen Biedenkopf und den früheren Innenminister Eggert wegen Untreue. Sie hätten Steuergeld veruntreut, indem sie sächsische Polizisten seit 1991 das Haus des Ministerpräsidenten in Bayern bewachen ließen. Tatsächlich beschützen Objektschützer das ganze Jahr über, rund um die Uhr, das Haus am Chiemsee - auch in Biedenkopfs Abwesenheit. Nolle bezweifelt, dass dies gerechtfertigt ist. Wenn schon, argumentiert er, dann hätten bayerische Polizisten Wache schieben müssen.
27. August 2001
Anhörung zur Rechtmäßigkeit des Büros Ingrid Biedenkopf im Landtag: Der CDU Experte Prof. Karpen erklärt die buchmäßige Erfassung der von Ingrid Biedenkopf eingeworbenen Spenden, Sponsoring, Geschenke, Erbschaften, Vermächtnisse usw. als unumgänglich und in den Staatsfundus gehörend, da es sich bei diesen Spenden um keine persönlichen, sondern öffentliche Zuwendungen handelt und bei Frau Biedenkopf um eine Quasi-Amtsträgerin. Es wird bekannt, dass Ingrid Biedenkopf Spenden im Werte von ca. 7 Millionen DM gesammelt hat, ohne nachprüfbare Erfassung dieser Mittel im Eingang noch bei der Verwendung.
4. September 2001
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte legt einen Bericht zur Datenverarbeitung im "Büro Ingrid Biedenkopf' vor und kritisiert die unzureichende Registratur, fehlende Erfassung ein- und ausgehender Schreiben, die Vermischung von privaten mit dienstlichen Vorgängen sowie die rechtswidrige und unzulässige Verarbeitung personenbezogener Daten durch das Büro Ingrid Biedenkopf.
16. September 2001
Die sächsische CDU wählt Georg Milbradt zum neuen Vorsitzenden - gegen den erklärten Willen von Kurt Biedenkopf, der sich für Umweltminister Steffen Flath stark gemacht hatte. SPD-Fraktionschef Thomas Jurk wertete dann auch das Ergebnis als "klares Misstrauensvotum der sächsischen Christdemokraten gegen den Ministerpräsidenten."
30. September 2001
Biedenkopf zahlt bis zum Auszug aus der Schevenstrasse nicht die angekündigte, um ca. 700 DM höhere Miete ab 1.6.01, sondern reduziert diese noch einmal für August und September. Er zahlt ab September 2001 keine Miete mehr, obwohl er erst am 28.12.01 das Haus vollständig räumt.
5. Dezember 2001
Die sächsische SPD-Landtagsfraktion fordert Biedenkopf zum Rücktritt auf. "Wer einen Untersuchungsausschuss und damit das Parlament belügt, kann nicht länger Ministerpräsident bleiben", sagt Fraktionschef Jurk. Er stützt sich auf einen Brief des Kölner Bauunternehmers Barth an seinen Freund Biedenkopf, der in der vorangegangenen Woche aufgetaucht war. Dieser zeige, dass es doch Absprachen über die Anmietung des Behördenzentrums durch das Land gegeben habe. Biedenkopf hatte in der Ausschuss-Sitzung am 26. Februar auf Fragen des Abgeordneten Nolle, ob Barth den Vermerk des MP vom 1.7.1993 konzipiert habe, geantwortet: "Nein, das ist ausgeschlossen."
Anfang Dezember 2001
Bei einem Einkauf bei IKEA handelt Ingrid Biedenkopf unter Berufung auf das aufgehobene Rabattgesetz einen - bei IKEA unüblichen - fünfzehnprozentigen Rabatt aus. Der juristisch korrekte Vorgang wird Gegenstand von Sitzungen des CDU-Fraktionsvorstandes und der CDU-Landtagsfraktion. Biedenkopf räumt einen Fehler ein. Er will den ausgehandelten Rabatt in Höhe von 132 Mark für soziale Zwecke spenden. Biedenkopf spricht zudem ausdrücklich davon, dass er beim Aushandeln des Rabatts im IKEA-Kaufhaus selbst aktiv beteiligt gewesen sei.
10. Januar 2002
74 Prozent der Sachsen wollen nach dem Rücktritt von Biedenkopf Neuwahlen.
Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die die SPD-Fraktion in Auftrag gab. Wertung von SPD-Fraktionschef Jurk: "Die Sachsen haben 1999 Kurt Biedenkopf gewählt und nicht die CDU.
Deshalb wollen sie seine Nachfolge selbst bestimmen und dies nicht kleinen CDU-Zirkeln überlassen."
10. Januar 2002
Im Paunsdorf-Untersuchungsausschuss belastet Ministerpräsident Biedenkopf seinen Ex-Finanzminister Milbradt schwer. Er erklärte, der Finanzminister sei wegen seiner besonderen Ressortverantwortung voll und ganz für Paunsdorf sachlich verantwortlich. Biedenkopf trage nur die politische Verantwortung.
Biedenkopf musste auch, abweichend von seiner Plenarrede, einen vom Rechnungshof bezifferten Mietschaden für den Freistaat in Höhe von jährlich 1,3 Mio Mark, insgesamt also 30 Millionen Mark, einräumen.
15. Januar 2002
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte legt einen Bericht
über eine Aktenkontrolle in der Sächsischen Staatskanzlei und über den Verlust von Aktenteilen im Zusammenhang mit dem Behördenzentrum-Paunsdorf vor. Er stellt fest, dass die Aktenordnung nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht und kein zentraler Überblick über vorhandene Akten besteht.
16. Januar 2002
Kurt Biedenkopf kündigt offiziell seinen Rücktritt für den 18. April an. In einer Rede vor dem Landtag greift er die Sachsen-CDU und deren Vorsitzenden Milbradt noch einmal scharf an.
SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Jurk: "Biedenkopf hinterlässt durch seine heutigen Äußerungen die sächsische CDU im selben katastrophalen Zustand, wie er das bereits in Nordrhein-Westfalen praktiziert hat. Sein potenzieller Nachfolger Milbradt wurde von Biedenkopf öffentlich als Königsmörder gebrandmarkt."
9. März 2002
Georg Milbradt wird auf einem Sonderparteitag der CDU am Dresdner Flughafen offiziell zum Ministerpräsidenten-Kandidaten gewählt.
Rund ein Drittel der Delegierten stellte sich offen gegen Milbradt und stimmte für den Zwickauer Oberbürgermeister Vettermann, der kurz vor dem Parteitag angetreten war, allerdings eine denkbar schlechte Figur abgab.
17. April 2002
Der letzte Arbeitstag von Kurt Biedenkopf im Freistaat. Vor zahlreichen Ehrengästen hält der Ministerpräsident seine Abschiedsrede.
Anschließend übergibt er Landtagspräsident Erich Iltgen sein Rücktrittsgesuch.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Thomas Jurk, spart in seiner Rede nicht mit Kritik an verpassten Chancen der Ära Biedenkopf, am höfischen Gehabe der Biedenkopfs und den Differenzen zwischen Mythos und Realität.
Jurk zollt aber zum Ende der Rede im Namen der SPD-Fraktion dem scheidenden Ministerpräsidenten Respekt und Anerkennung.
18. April 2002
Der Tag der Vollendung Biedenkopfs Niederlage: Der Landtag wählt Georg Milbradt mit 72 von 120 Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten.
Biedenkopf muss dem von ihm bekämpften Ex-Finanzminister die Schlüssel zur Staatskanzlei offiziell übergeben.
(Position 2/02)