Karl Nolle, MdL
ZDF heute-journal, 16.02.2001
Hohe Abwanderungsquote im Osten
Viele Ostdeutsche sehen nur im Westen eine Perspektive
Die von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) geäußerte Ansicht, der Osten stehe auf der Kippe, wird von knapp zwei Dritteln der Ostdeutschen geteilt. Jüngste Berichte über Abwanderungen und Arbeitsplatzaussichten scheinen die Befürchtung zu bestätigen.
Immer mehr Menschen aus den Neuen Bundesländern suchen ihr Glück im Westen. Dies geht aus jüngsten Zahlen der statistischen Landesämter hervor. Demnach will jeder dritte Jugendliche eine neue Perspektive außerhalb der Ost-Länder suchen.
BESSERE JOBAUSSICHTEN
Die Hauptursachen dieser "Flucht aus dem Osten" sind vielfältig, Arbeitsplatzmangel und berufliche Perspektivlosigkeit sind die wichtigsten Gründe. Attraktivere Lebensbedingungen und ein größeres Freizeitangebot spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Positiv ist, dass für die meisten der Abwanderungswilligen dieser Schritt nur eine Übergangslösung darstellt. Mehr als die Hälfte aller Menschen, die in den Westen übersiedeln wollen, möchten nach einer gewissen Zeit auch wieder in ihre Heimat zurückkehren.
TIEFGREIFENDE FOLGEN
Die Abwanderung aus dem Osten könnte tiefgreifende Folgen für die Konjunktur und die wirtschaftliche Stellung der Neuen Bundesländer haben. Schon jetzt fehlen in den meisten Ost-Ländern zahlreiche Fachkräfte, gerade in Thüringen und Sachsen ist die Entwicklung dramatisch. Und es sind vor allem Ingenieure und Informatiker, die nach Abschluss ihres Studiums an den modernen Hochschulen im Osten in den Westen auf Jobsuche gehen.
Auch bei den Lehrern ist eine starke Wanderungswelle von Ost nach West auszumachen. Und die derzeitige Lage scheint diesen Entschluss nur zu bestärken: ihre Kollegen aus dem Westen verdienen mehr, sie haben eine bessere Aussicht, verbeamtet zu werden, und an den westdeutschen Schulen herrschen die besseren Arbeitsbedingungen. Außerdem kann den ostdeutschen Lehrern oft nur eine Teilzeitstelle angeboten werden, da der starke Geburtenrückgang nicht mehr, sondern eher weniger Lehrerstellen erfordert.
GEZIELTE MASSNAHMEN
Der Bildungsminister aus Mecklenburg-Vorpommern, Peter Kauffold (SPD), will jetzt die Notbremse ziehen: bei Neueinstellungen muss ein Lehrer künftig nicht mehr bereit sein, Teilzeit zu arbeiten. Ferner werden wieder unbefristete Arbeitsverträge angeboten. Über den Beamtenstatus herrscht aber weiterhin Unklarheit. Eine generelle Einführung soll jedoch nicht erfolgen.
Weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Lage, sprich zum Verhindern zunehmender Abwanderungen in den Westen, kommen neben Mecklenburg-Vorpommern auch aus anderen Ländern. Karl Nolle, SPD-Landtags- abgeordneter in Sachsen, fordert eine Prämie für junge Leute, die in den Freistaat zurückkehren. Diese Prämie solle in Form einer unbürokratischen Umzugsbeihilfe im Rahmen von 6000 Mark geleistet werden. "Wenn wir in Sachsen jedes Jahr weiterhin zehntausende junge Menschen verlieren, wird der Freistaat im Wettbewerb der Regionen zum Kellerkind", begründete Nolle seinen Vorschlag. Allein in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren hat es 1999 in Sachsen 34.112 Fortzüge gegeben.
KRITIK VON HÖPPNER
Das Problem schrumpfender Einwohnerzahlen beschäftigt auch das Bundesland Sachsen-Anhalt und dessen Wirtschaft. Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) will mit seinen Investitionsvorhaben mit Hilfe der vom Bund bereitgestellten Mittel sein Möglichstes tun, um dieser negativen Entwicklung Einhalt gebieten zu können. Gleichzeitig kritisierte er die von den Arbeitsämtern angebotene "Mobilitätszulage", die denjenigen Ost-Arbeitnehmern gewährt wird, die in den Westen gehen.
Über die Lage in Sachsen-Anhalt, das Abwanderungsproblem und über mögliche Lösungsansätze äußert sich der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Höppner im blickpunkt.