Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 08.11.2002

Groteskes Hörspiel oder Entlastungsbeweis?

Die federführende Staatsanwaltschaft verweigert aus "ermittlungstaktischen Gründen" Auskünfte im Fischer-Fall - SPD-Aufklärer Nolle legt nach
 
CHEMNITZ. Als Ende voriger Woche im eigentlich abgeschlossenen Entführungsfall Schramm bisher unbekannte Gesprächsmitschnitte auftauchten, die den verurteilten Kurt Fischer scheinbar entlasten und die Ermitlungsbehörden ins Zwielicht rückten, reagierte die zuständige Staatsanwaltschaft Chemnitz ungewöhnlich schnell und mit epischer Breite. In einer zweiseitigen Presseerklärung wies sie am Sonntag gemeinsam mit dem Dresdner Landeskriminalamt (LKA) alle Vorwürfe der Beweisunterdrückung zurück und drehte den Spieß um.

Doch möglicherweise ist die von LKA-Sprecher Lothar Hofner versandte Mitteilung, an der Bereitschaftsstaatsanwalt Hartmut Meyer-Frey mitgewirkt hatte, den Beteiligten heute peinlich. „In dieser Erklärung wurde lediglich der Verdacht aufgeworfen, dass die relevanten Bänder gefälscht worden sind“, schwächte Staatsanwaltschafts-Sprecher Bernd Vogel nun ab. Um diesen Verdacht zu prüfen, liefen zurzeit Ermittlungen. Mehr wollten er und der leitende Chemnitzer Oberstaatsanwalt Klaus Fleischmann „aus ermittlungstaktischen Gründen“ vorerst nicht dazu sagen. Eine Fragenliste der „Freien Presse“ blieb deshalb unbeantwortet.

Seinen Anfang nahm der Hickhack bereits im Februar: Der Regensburger Privatdetektiv Rainer Kapelke wandte sich damals an die sächsische Polizei und teilte mit, Ex-Sparkassenchef Fischer erwarte von ihm für künftige Neuauflagen des Strafverfahrens um die geplante Entführung des Mittweidaer Landrates ein geändertes Aussageverhalten. Weil sich die hiesigen Strafverfolger nicht zuständig fühlten, wurde der Belastungszeuge der Fischer-Prozesse an die bayerischen Kollegen verwiesen. Als der Rechtsanwalt Kapelkes am 27. September bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz schriftlich Anzeige wegen Nötigung gegen Fischer erstattete, nahm man sich des ungeliebten Falls dann doch wieder selbst an. Es entstand, so Meyer-Frey am Montag, ein „reger Kontakt“ zwischen Kapelke und den sächsischen Beamten.

Nach Angaben des Detektivs kam es schließlich am 12. Oktober in seinem Büro und einem Wald bei Regensburg zu einer grotesken Aktion. Er will - aus Angst vor der von Fischer angedrohten wirtschaftlichen Ruinierung - die beiden tatentscheidenden Gespräche vom 21. und 26. Oktober 1995 gemeinsam mit dem Ex-Banker inhaltlich verfälscht nachgestellt und dabei weitgehend vom Blatt abgelesen haben.

Am 16. Oktober 2002 erhielt das LKA auch ein Tonband von Kapelke. Ob es das von Fischer bestrittene „Hörspiel“ enthält, ist unbekannt. Ob sich darauf dieselben Aufnahmen befinden, die später anonym an den SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle gingen, konnten die zuständigen Behörden am Sonntagabend, als sie ihre Fälschungsvermutungen publizierten, noch gar nicht wissen.

Schlimmstenfalls haben sie sich damit der falschen Verdächtigung schuldig gemacht - übrigens ebenfalls ein strafbares Vergehen. Ungeklärt ist aber auch das Verhalten der Ermittler nach dem 27. September, zu dem sich die Staatsanwaltschaft ausschweigt. Offenbar wurde der wegen Nötigung angezeigte Fischer fünf Wochen lang nicht zu dem Vorwurf gehört. Hatten die Verantwortlichen vor, die Angelegenheit in aller Ruhe zu erledigen, und wurden sie Ende voriger Woche durch die Strafanzeige Nolles gegen unbekannt beimGeneralstaatsanwalt sowie die Medienberichte aufgeschreckt? Ließen sie Fischer - ähnlich wie sie es schon bei der Aufklärung des Entführungsplans mit Hilfe des zwielichtigen Zeugen Kapelke getan hatten - im Wissen um die Herkunft der neuen Mitschnitte absichtlich ins Messer laufen? Oder handelt es sich gar tatsächlich um einen Versuch, unsaubere Ermittlungen vom Herbst 1995 zu vertuschen?

Der 44-jährige Bayer Fischer, dem das Geld trotz hoher Prozess- und Anwaltskosten nicht auszugehen scheint, kämpft seit sieben Jahren verbissen um seine Rehabilitierung. Dass er 1995 von einem windigen Privatdetektiv hereingelegt worden sein soll, kann er sich einfach nicht eingestehen. Deshalb muss es nach seinem Selbstverständnis schon ein Staatskomplott gewesen sein, das ihn - den laut psychiatrischem Prozessgutachten von 1996 mit einem erhöhten Geltungs- und Dominanzbedürfnis ausgestatteten Sparkassenchef - zu Fall brachte.

Jahrelang versorgte Fischer vor allem die „Freie Presse“ mit Informationen, die seine Schuld in Frage stellen sollten. Doch die Berichterstattung brachte ihm nicht den erhofften Durchbruch auf seinem Irrweg durch die Gerichtssäle. Neuerdings beliefert er nun den kampagnenerprobten SPD-Chefaufklärer Karl Nolle. Der 57-jährige Unternehmer aus Dresden muss Fischer schon deshalb sympathisch sein, weil er den noch immer amtierenden CDU-Landrat Andreas Schramm unlängst selbst aufs Korn nahm. Erste Genugtuung für Fischer nach dem Auftauchen der Mitschnitte in der Öffentlichkeit: Ein wöchentlich erscheinendes Nachrichtenmagazin, für dessen jüngste Ausgabe die Mitteilung von LKA und Staatsanwaltschaft vom Sonntagabend zu spät kam, bezeichnete ihn mutig als „vermutlich Unschuldigen“ in dem Entführungsfall.

Auch die bislang letzten Indizien dafür, dass es entgegen offizieller Darstellungen Original-Aufnahmen vom Oktober 1995 geben muss, gelangten über Karl Nolle an die Medien. Es handelt sich unter anderem um einen Brief Fischers vom 23. August 1999 an den Bundesgerichtshof, den der BGH laut Nolle mit einer Eingangsbestätigung abtat. Schon damals berichtete Fischer von einer Aufnahme des am 21. Oktober 1995 zwischen Kapelke und ihm geführten Gesprächs, für dessen Protokoll seine Frau 60.000 Mark an einen Detektiv bezahlt habe. 300.000 Mark solle er für das dazugehörige Band berappen - doch dazu sei er nur bereit, wenn er es bei einem neuen Strafverfahren auch einführen dürfe.

Denn bereits beim zweiten Prozess in Zwickau hatte Fischer eine Kassette aus dem Ärmel gezaubert, die angeblich entlastende Mitschnitte enthielt. Sie wurde wegen rechtlicher Bedenken im Gerichtssaal ungehört vom Staatsanwalt beschlagnahmt und ging später, so behauptete Fischer bereits vor Monaten, bei der Zurücksendung an ihn verloren.

Für einen „Knaller“ hält Nolle darüber hinaus die Zahlungsvereinbarung, die der mit einem sechsstelligen Betrag bei Fischers Frau in der Kreide stehende Rainer Kapelke am 12. März 2002 bei einem Notar in Weilheim akzeptierte. Danach darf die Gläubigerin das Darlehen grundsätzlich nicht kündigen - es sei denn, Kapelke gerät mit den Raten in Verzug. Auf den ersten Blick widerspricht das den Angaben des 54-Jährigen, er sei mit Ruinierungsdrohungen zum Nachstellen von Gesprächen gezwungen worden.

Nicht unerwähnt bleiben darf dabei allerdings, dass Martina Fischer die Ansprüche gegen Kapelke im Januar 2002 ganz bewusst von einem anderen Gläubiger erwarb. Zur Erinnerung: Schon im Februar hatte Rainer Kapelke der Polizei erzählt, er fühle sich von Fischer bedrängt.
(Von Sven Frommhold)

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