Karl Nolle, MdL
DNN/Dresdner Neueste Nachrichten, 22.11.2002
Schlammschlacht um Sachsenring
Ex-Chef will klagen / Freistaat weist Vorwürfe von CDU-Wahlkampf-Spenden bei ZMD-Verkauf zurück
DRESDEN. "Wir sind ein rühriges Völkchen, wenn es aber darauf ankommt, legen wir uns ganz schon ins Zeug." Klaus Mohr (Name geändert) lächelt dem Betrachter freundlich entgegen. Ähnlich flott-griffige ProSachsen-Sprüche zogen sich im Sommer 1999 durch den bundesdeutschen Blätterwald. Aufmunternd, werbend, witzig. Mitinitiiert hatte die Kampagne Sachsens einstiger Vorzeige-Unternehmer Ulf Rittinghaus, in den 90er Jahren als Retter der Zwickauer Trabi-Schmiede Sachsenring gefeiert. Im Mai 2002 als Pleitier aus der Sachsenring-Führungsetage gejagt. Das hat er nicht verschmerzt, sagt einer, der ihn gut kennt. Das lässt der nicht auf sich sitzen.
Und tatsächlich sieht es so aus, als ob jetzt die Abrechnung in Raten beginnt: Rittinghaus wolle gegen den Freistaat und die beiden Hausbanken Commerzbank und Dresdner Bank klagen, bestätigte gestern abend sein Rechtsanwalt Reiner Fuellmich gegenüber DNN. Der Entwurf der Klageschrift sei bereits fertig. "Wir wollen zumindest erreichen, dass die beiden Rittinghaus-Brüder aus sämtlichen Verpflichtungen entlassen werden", sagte Fuellmich. Die beiden Bremer Unternehmer hätten "mindestens 15 Millionen Euro Privatkapital" in Sachsenring gesteckt. Der Freistaat habe das Unternehmen Ende Mai 2002 mit einem "getürkten Gutachten in die Insolvenz getrieben", laute der Hauptvorwurf. Zu diesem Zeitpunkt habe aber keine Zahlungsunfähigkeit bestanden, so Füllmich. "Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsgrundlage für eine Insolvenz." Nicht nur die Rittinghaus-Brüder, auch die Sachsenring-Aktionäre seien um ihr Geld gebracht worden. Wenn "innerhalb einer bestimmten Frist" keine außergerichtliche Einigung zustande komme, werde die Klage eingereicht. "Wir haben noch genug Trümpfe im Ärmel."
Einen hat der Göttinger Anwalt (dort auch als "Robin Hood von Göttingen" bekannt) bereits öffentlich ausgespielt. Mit voller Breitseite auf die alte und neue sächsische Staatsregierung. Der Vorwurf: Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer habe für die "Sachsen für Sachsen"-Kampagne Steuergelder im Zusammenhang mit dem Verkauf des Dresdner Chip-Unternehmens ZMD an Sachsenring für den CDU-Landtagswahlkampf abgezweigt.
Kurzer Rückblick: Dutzende namhafte Unternehmen wie Glashütte, Meißener Porzellan, Bruno Banani, die Leipziger "Prinzen" sowie Hunderte sächsischer Bürger machten im Sommer 1999 begeistert mit bei der Anzeigen-Kampagne "Sachsen für Sachsen". Und die war so witzig, griffig, dass Entertainer Harald Schmitt tagelang Sachsen-Witze riss. Auch ein Werbeeffekt, freuten sich die Macher rund um das Team von Ex-Bild-Chef Erich Bilges, schon damals Berater beim Berliner Beratungsunternehmen WMP Eurocom (im Aufsichtsrat: Ulf Rittinghaus). "Wir machen grundsätzlich keine parteipolitischen Aktionen", betont Bilges gegenüber DNN. Dennoch nahmen Politiker aus fast allen Parteien genüsslich Platz im Kampagnen-Boot. Auch die heutige SPD-Landeschefin Konstanze Krehl. "Ich habe mich damals beraten und dann, obwohl wir da schon eine gewisse CDU-Nähe vermutet hatten, meine Unterschrift geliefert", räumte Krehl ein. "Das war doch etwas Gutes für Sachsen, da wollten wir doch nicht im Abseits stehen." Das wollte auch die grüne Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau nicht. Beide dürften heute ein wenig mit sich selbst hadern, dass sie sich damals in die grün-weiße Strahlefrau-Werbeaktion haben einspannen lassen. Kurz vor der Landtagswahl. Die PDS, offenbar als einzige Partei kampagnen-unbefleckt, forderte gestern unterdessen die sofortige Einsetzung eines Untersuchungsausschusses.
Schommer, sonst eher als Partei-Muffel denn als Partei-Soldat bei der Sachsen-CDU verschrien, habe Rittinghaus im Oktober 1998, also wenige Monate vor dem Start der Aktion um eine Wahlkampf-Spende für die CDU in Höhe von fünf Millionen Mark gebeten, behauptet Fuellmich. Rittinghaus habe abgelehnt. Darauf soll ihm Schommer geraten haben, doch beim Kauf des Dresdner Chip-Unternehmens ZMD auf eine Aufstockung der Beihilfen von 25 auf 29 D-Mark zu bitten. Und dafür "Sachsen für Sachsen" sprechen zu lassen.
Der Deal sei zustande gekommen. Schreibt der "Stern". Auch mit Unterstützung des damaligen Finanzministers und heutigen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU). Und damit seien Steuergelder indirekt in eine CDU-Wahlkampfaktion geflossen. Ist nicht wahr, widersprach die Staatsregierung gestern vehement. Auf der Verteidigungsbank gingen gestern vor der Presse gleich zwei Staatssekretäre in Stellung. Ein wenig unsicher, relativ still und zugeknöpft. War doch keiner von ihnen bei den umstrittenen Transaktionen 1996 bis 98 schon im jetzigen Amt. "Nach Aktenlage treffen diese Vorwürfe nicht zu", erklärte Wirtschaftsstaatssekretärin Andrea Fischer bestimmt. Und Finanzstaatssekretär Wolfgang Voss ergänzte: Die vier Millionen Mark seien ZMD zur Rückzahlung eines 1996 gewährten Darlehens gezahlt worden. Den entsprechenden Vertragsentwurf vom 6. Oktober 1998, in dem der Rückzahlungsverzicht noch enthalten ist - übrigens zwei Tage vor dem angeblichen Schommer-Rittinghaus-Spendengespräch - legte Voss mit auf den Tisch. Später habe sich herausgestellt, dass dieses Darlehen rein rechtlich gar nicht erlassen werden durfte, so Voss. "Darum haben wir auf 29 Millionen erhöht." Fuellmich kontert: Der Freistaat sei zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen, auf die Darlehensrückzahlung zu verzichten. Ein Verzicht wäre zudem von vornherein EU-rechtswidrig gewesen. "Milbradt sagt die Unwahrheit", meint Fuellmich.
Auf Regierungsebene grämt man sich derweil. Dass man zu spät die Reißleine gezogen habe, um bei Sachsenring bereits im vergangenen Jahr noch zu retten, was vielleicht noch zu retten gewesen wäre. Dass man auch ZMD noch den einstigen Vorzeige-Unternehmern anvertraut hatte. Dass die Rittinghaus-Brüder wenige Monate später wieder zu Geld machten.
Strafanzeige gegen den Freistaat werde er nicht erstatten, sagt Fuellmich. "Das brauche ich nicht. Der Staatsanwalt wird von sich aus die Ermittlungen aufnehmen." Und spätestens damit wird der nächste Akt in der Schlammschlacht um Sachsenring eröffnet. "Ich habe noch nie verloren", spannt "Robin Hood" in Göttingen bereits den Bogen für die bevorstehende Schlacht.
(Annette Binninger)