Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 06.12.2002
"Sachsenring-Affäre: Förderpolitik des Landes im Zwielicht"
DRESDEN. Die Sächsische Landesregierung gerät in der Sachsenring-Affäre immer stärker in Erklärungsnöte. Dabei steht längst nicht mehr nur eine mögliche Verquickung von Wahlkampfhilfen und staatlichen Fördergeldern für das Chip-Werk ZMD im Mittelpunkt. Zunehmend ins Zwielicht gerät vielmehr die gesamte Förderpolitik des Freistaats für das Dresdner Chip-Werk ZMD seit 1993.
Seit gestern nun soll Wirtschaftsstaatssekretärin Andrea Fischer (CDU) als Chef-Aufklärerin Licht in die Affäre um Sachsenring und ZMD bringen. Gestern sorgte sie nach Ansicht von Beobachtern jedoch bereits mit einem Halb-Dementi der bisherigen Erklärungsversion für die umstrittene Aufstockung der 25 auf 29 Millionen D-Mark Zuwendung an SAG beim ZMD-Kauf gleich für neue Verwirrung. Fischer angelt vorsichtig im Akten-Dickicht. Zumal sie nach erster Durchsicht inzwischen auch ein Fragezeichen hinter das Verhalten hoher ministerieller Beamter beim damaligen ZMD-Verkauf für schlappe zwei D-Mark setzen müsste.
Der Verdacht: Die 29 Millionen D-Mark, die der Freistaat Sachsenring beim ZMD-Kauf 1998 als Ausgleich des Jahresfehlbetrages des Chip-Werkes zusagte, ist indirekt fast zur gleichen Zeit über den Verkauf einer Lizenz von Sachsenring an ZMD in Höhe von 25 Millionen D-Mark wieder abgeflossen. "Damit wäre ZMD die Liquidität, die wir gerade erst hergestellt hatten, ohne unser Wissen bereits vorher vertraglich entzogen worden", klagt Fischer an. "Wir prüfen das derzeit genau."
MEM, heißt das kleine Ding, das derzeit gleich in zwei Ministerien große Schweißperlen auf die Stirne treibt. Seit Mitte der neunziger Jahre bastelte die Sachsenring Entwicklungsgesellschaft (SEG), eine SAG-Tochter, an einer Sensor zur "Mobilen Emissionsmessung", kurz MEM. Das kleine technische Wunder-Instrument sollte während der Fahrt die Konzentration des Schadstoff-Ausstoßes messen. Umweltschonende Fahrzeuge sollten damit durch geringer Steuern belohnt werden. Die Innovation, mehrfach euphorisch gefeiert von Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) und gefördert, schaffte es im Jahr 2000 sogar den Sprung als offizielles Vorzeige-Projekt des Freistaats auf die Weltausstellung Expo in Hannover. Danach landete MEM in der Schublade. "Mitten in der heißen Verhandlungsphase" um den ZMD-Kauf hat laut Fischer die SAG bereits den MEM-Lizenz-Verkauf perfekt gemacht. "Wir haben unseren Mitarbeiter dazu gestern telefonisch befragt, aber er sagt, dass er davon nichts mitbekommen hat", so Fischer. Dabei geht aus vertraulichen Gesprächsprotokollen zwischen SAG- und Landesvertretern, die DNN vorliegen, hervor, dass der Kauf der MEM-Lizenz durch ZMD durchaus ausführlich erörtert wurde.
Erst Anfang 2000 klingelten bei einem Mitarbeiter des Finanzministeriums die Alarmglocken, als er den SAG-Geschäftsbericht 1999 durchblätterte. Dort war der Verkauf der MEM-Lizenz für 25 Millionen D-Mark an ZMD nachzulesen. Peinliches Detail: Seit Mitte der neunziger Jahre saß der damalige Referatsleiter Technologieförderung, Helmut Ennen (heute Leiter des Brüsseler Büros des Freistaats), mit im ZMD-Aufsichtsrat. Auch nach dem Verkauf an Sachsenring, als der damalige Finanzminister Georg Milbradt (CDU) ins Gespräch für einen Aufsichtsratsposten kam, wahrte Ennen bis Mai 2000 diese Kontinuität. Praktisch: Ennen war auch für die Fördermittelvergabe mit zuständig.
Anfang 2000 meldete das Finanzministerium sich erstmals bei Sachsenring mit dem dezenten Hinweis, dass die 29 Millionen D-Mark "ausschließlich als Ausgleich des Jahresfehlbetrages und als Investitionsausgleich zu verwenden sei. Aus dem Geschäftsbericht 2000 geht dann hervor, dass die MEM-Lizenz wieder zurück gegangen ist an die SAG. Unklar bleibt allerdings, zu welchem Preis. "Ob und wie Finanzströme geflossen sind, können wir nicht verfolgen", sagte der Sprecher des Finanzministers, Markus Lesch. Zudem bestand rechtlich auch keinerlei Nachweispflicht, wofür die SAG die 29 Millionen D-Mark Zuwendung beim ZMD-Kauf verwendet hat.
Die CDU-Landtagsfraktion hält nach der gestrigen Wirtschaftsausschuss-Sitzung derweil die Sache Sachsenring/ZMD für erledigt. "Die künstlichen Aufgeregtheiten der Opposition haben sich wieder einmal als Klamauk erwiesen", erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, Andreas Lämmel. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gebe es "spätestens nach der heutigen Sitzung überhaupt keinen Grund mehr", so Lämmel selbstbewußt.
Die PDS sieht dagegen die "Liste der Fragen und Ungereimtheiten" immer länger werden. Die Steigerung des negativen Kaufpreises von 25 auf 29 Millionen D-Mark erkläre das Wirtschaftsministerium jetzt sogar damit, heißt es in einer PDS-Pressemitteilung, "dass die Steigerung des Betrages zum Ausgleich für etwaige weitere Sozialplanmittel im Zuge der Entlassung von Arbeitnehmern bestimmt gewesen sei", so die PDS. In der Tat hatte sich Sachsenring laut ZMD-Kaufvertrag lediglich zum Erhalt von "durchschnittlich 150 Mitarbeitern" verpflichtet. Der Rest sollte eventuell in einer Qualifizierungsgesellschaft untergebracht werden - wiederum offenbar gewissermaßen vorab finanziell mitgetragen vom Freistaat.
(Von Annette Binninger)