Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.02.2003

Der lange Anlauf des Einser-Kandidaten

Sachsen-SPD verknüpft ihr Schicksal immer enger mit Leipzigs Oberbürgermeister / Wolfgang Tiefensee / Hoffen und Bangen vor Wahljahr 2004
 
DRESDEN. Noch ungefähr 390 Tage Dementi, dann ist die Frist für Wolfgang Tiefensee abgelaufen. Auf einem Sonderparteitag im April 2004 werden Sachsens Sozialdemokraten abstimmen, wer sie im dann folgenden Herbst als Spitzenkandidat in eine schwierige Landtagswahl führen soll. Eine absehbare Entscheidung. Das weiß auch Leipzigs Oberbürgermeister mit dem SPD-Buch, der bis heute gänzlich ohne Parteiamt geblieben ist.

Für die meisten der 5 000 Sozialdemokraten zwischen Görlitz und Zwickau gibt es ohnehin wenige, die ihre Partei aus dem 10,7-Prozent-Tief von 1999 herausführen könnten - im Grund nur einen. "Die Landespartei dürfte mit sich zufrieden sein, wenn es Tiefensee macht", meint der Chef des SPD-Unterbezirks Plauen, Lutz Kätzel. Vorschusslorbeeren, die es in der Partei auf allen Ebenen gibt. "Ich halte ihn als Spitzenkandidaten für am besten geeignet. Wolfgang Tiefensee steht für Erfolg und Innovation. CDU-Ministerpräsident Milbradt ist dagegen ein Langweiler", trommelt Juso-Chef Martin Dulig. Auch in der SPD-Landtagsfraktion scheinen die meisten einig. "Ich rechne damit, dass er es macht. Es gibt keinen Besseren", so die Freiberger Abgeordnete Simone Raatz. Fraktionskollege Karl Nolle attestiert: "Ich wünsche mir, dass OB Tiefensee antritt. Es wäre gut für die Partei und die Fraktion."

Der Einzige, der bislang zögert, ist der Einser-Kandidat selbst. "Mein Wunsch ist es, Olympia nach Leipzig und Sachsen zu holen und 2005 gestärkt in die OB-Wahl zu gehen." So tritt Wolfgang Tiefensee dieser Tage weiter auf die Bremse. Natürlich habe er Verständnis, dass das Thema die Öffentlichkeit bewegt. Alles andere als eine Entscheidung erst im Frühjahr 2004 "widerspricht aber einer generellen Logik", sagt der Vielumworbene .

Tatsächlich gibt es für Tiefensees Zurückhaltung gute Gründe. Einer ist reine Wahltaktik. Mit der offiziellen Kür steht der Spitzenkandidat bis zum Wahlabend ständig im Rampenlicht. Ausgeliefert einer von den Konkurrenzparteien betriebenen Maschinerie, die ihn nicht nur gnadenlos auf Fähigkeiten abklopft, sondern jede seiner noch so kleinen tagespolitischen Entscheidungen sofort in die Meinungswaagschale wirft. Für Tiefensee, dem zwar der Ruf des Fachmanns vorauseilt und dessen Metropole mit Großansiedelungen wie Quelle oder BMW als Boom-Town gilt, eine schwierige Gratwanderung, denn auch in seiner Stadt gibt es viele ungelöste Probleme. Ein Frühstart wäre im Wahlkampf damit um so gefährlicher. Der andere Grund ist Wolfgang Tiefensee selbst.

"Er hat noch nie kämpfen müssen, dann muss er aber kämpfen", weist ein ranghoher Genosse auf eine wunde Stelle. Die Furcht, dass sich ihr aussichtsreichster Kandidat am Ende in der Rolle des aussichtslosen Einzelkämpfers sieht und vor ihr zurückschreckt, steckt tief in der Partei. Umfragen, nach denen die Sachsen-SPD aktuell auf 13 Prozent Wählerstimmen kommt, steigern die Unruhe. "Wenn er nicht antritt, wäre das aber eine Katastrophe."

Für diesen Fall gibt es mit dem SPD-Fraktionschef Thomas Jurk zwar eine Notfall-Variante, jedoch keinen Ersatz. "Tiefensee ist eine Klasse für sich", räumen selbst dessen wenige Kritiker im SPD-Landesverband ein. Tatsächlich machte bisher nur der Leipziger Oberbürgermeister als Mitglied der Hartz-Kommission oder als heftig umworbener Kandidat für einen Ministerposten in der Bundesregierung deutschlandweit Positiv-Schlagzeilen für die Sachsen-SPD. "Er ist das Beste, was wir haben", so der Leipziger Bundestagsabgeordnete Gunther Weißgerber, der damit als wichtiger Strippenzieher in der Sachsen-SPD die Richtung vorgibt: Man setzt auf einen Stimmungsumschwung und auf Tiefensee, der im Hintergrund bereits seine Spitzenkandidatur vorbereitet. Enge Mitarbeiter wie Tiefensees einstiger Leipziger Wahlkampfchef Otto Herz spinnen längst per Honorarvertrag in der Dresdner SPD-Landeszentrale die Fäden. Und dort will Landeschefin Constanze Krehl nach jahrelanger Kärrnerarbeit offenbar langfristig den Weg freimachen: Im Herbst bewirbt sie sich erneut um ein Mandat für das im EU-Parlament. Und die 2004 anstehende Neuwahl des SPD-Landeschefs ist intern bereits auf die Zeit nach der Landtagswahl verschoben.
(Von Gunnar Saft