Karl Nolle, MdL

Mitteldeutsche Zeitung, 30.09.1999

Streit in SPD-Landesverbänden

Die Wahlverlierer wetzen die Messer / Sachsen: Designierte Landesvorsitzende Krehl sorgt für Querelen - Thüringen: Spekulationen über Abwanderung
 
Dresden/Erfurt/MZ. Was tun, wenn nur noch 14 Genossen die Fraktion bilden?

Ratlosigkeit macht sich in den Reihen der sächsischen SPD breit. Denn wegen der Siegeszuversicht des Daueroptimisten und bisherigen Spitzenmannes Karl-Heinz Kunckel wurden die Listenplätze so vergeben, dass plötzlich die Experten für solch wichtige Themenfelder wie Inneres, Arbeit und Umwelt gar nicht mehr im Parlament vertreten sind. "Hier sind nur noch Notlösungen möglich," heißt es in Dresden.

Dazu dürfte auch die Wahl von Thomas Jurk zum Fraktionschef gehören. Denn der 37-jährige bisherige finanzpolitische Sprecher aus Ostsachsen wurde lediglich als "Vorschlag" gehandelt. Doch die bloße Ankündigung reichte bereits, dass Kunckel auf eine Kampfabstimmung um den Fraktionsvorsitz verzichtete.

Beim zornigen Rückzug vergaß der bereits am Wahlabend nach der historischen Niederlage zurückgetretene Landesparteichef nicht, noch ordentlich Porzellan zu zerschlagen: Er beklagte mangelnde "politische Kultur" und fehlenden "solidarischen Umgang". Gemünzt waren diese Worte offenbar auf zwei neue Fraktionsmitglieder, die Kunckel einst selbst in sein "Schattenkabinett" beförderte. Hanjo Lucassen, bislang DGB-Chef in Sachsen, hatte kritisiert, dass Kunckel bereits nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen mit Constanze Krehl eine ihm genehme Nachfolgerin präsentierte. Und der Dresdener Druckereiunternehmer Karl Nolle sekundierte, die EU-Parlamentarierin Krehl könne nur eine "Übergangslösung" sein.

Doch das größte Problem der SPD in Sachsen liegt woanders: Eine gestörte Kommunikation hat beispielsweise dazu geführt, dass es auf der ersten Fraktionssitzung nicht einmal eine offene Aussprache über das 10,7-Prozent-Wahldebakel gab. Im übrigen wachsen Zweifel, ob die kommissarische Vorsitzende Krehl die niedergeschlagene Partei als Europa-Politikerin überhaupt führen kann.

Konflikte sind vorprogrammiert: Während die 42-jährige Informatikerin, die auf dem Sonderparteitag am 30. Oktober als ordentliche Vorsitzende kandidiert, in Interviews ankündigte, den Anti-PDS-Kurs Kunckels fortzusetzen, ist die Landtags-Fraktion bereits auf die SED- Nachfolger angewiesen, wenn sie nur einen Untersuchungsausschuss einrichten will. Die für die gesamte SPD im Osten existenziellen Frage des künftigen Umgangs mit der PDS will Krehl dennoch gar nicht erst diskutieren.

Auch in der Thüringer SPD lautet das zentrale Thema: Wie halten wir es mit der PDS? Die im Nachhinein fatale Taktik des Wahlverlierers und bisherigen Innenministers Richard Dewes, ohne Koalitionsaussage anzutreten und sich damit eine PDS-Option offenzuhalten, beruhte zwar auf einem einmütigen Vorstandsbeschluss. Dennoch schlossen die anderen drei SPD-Minister der bisherigen großen Koalition schon drei Wochen vor der Wahl jegliche Zusammenarbeit mit den SED-Erben aus.

Treibende Kraft war dabei Ex-Wissenschaftsminister Gerd Schuchardt, der wegen seiner strikten Anti-PDS-Haltung von seinen Gegnern auch als "der Kunckel Thüringens" verspottet wird. Noch am Wahlabend versuchte Schuchardt, bis 1994 schon einmal Fraktionschef und von 1994 bis 1996 Landesvorsitzender, allein Dewes für den tiefen Absturz auf 18,5 Prozent verantwortlich zu machen.

Erst nach einer "ordentlichen Kopfwäsche" durch Franz Müntefering, dem designierten SPD-Bundesgeschäftsführer, und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gelang es, die beiden Streithähne Dewes und Schuchardt zu trennen. Keiner von beiden wird als neuer Fraktionschef kandidieren, der heute bestimmt werden soll, sondern der frühere parlamentarische Geschäftsführer Heiko Gentzel und der ehemalige Europa- Abgeordnete Gerhard Botz.

Es ist ein Stellvertreter-Kampf, denn Gentzel gehört zum Schuchardt-Lager und Botz zum Dewes-Anhang. Der gescheiterte Spitzenkandidat und Landeschef Dewes hat angekündigt, auf dem Landesparteitag im November "wahrscheinlich" noch einmal anzutreten. Andererseits gibt es in Erfurt Spekulationen, Dewes sei außerhalb der Landesgrenzen "auf Jobsuche". Konkret wird er mit dem Bundesverkehrsministerium in Verbindung gebracht, in dem der neue Minister Reinhard Klimmt, Saarländer wie sein Parteifreund Dewes, Staatssekretärsposten zu vergeben hat.

In der Tat hält Dewes in Thüringen wohl nicht mehr viel. Für zusätzlichen Ärger sorgt jetzt auch noch der Vorwurf, er habe eine von der SPD in Auftrag gegebene Meinungsumfrage vor der Wahl unter Verschluss gehalten. Zeitungsberichten zufolge sei Dewes in dieser Umfrage eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung bescheinigt worden. Von der Parteiführung werden die Vorwürfe der Geheimhaltung zwar heftig bestritten, für die Gegner von Dewes ist die Meldung aber dennoch ein gefundenes Fressen.

Und so ist den SPD-Landesverbänden in Thüringen und Sachsen eines gemein: Weder in Erfurt noch in Dresden ist eine Integrationsfigur in Sicht, die die Landesverbände wieder zusammenführen könnte.
(Peter Gärtner)