Karl Nolle, MdL
TAZ - Die Tageszeitung, 02.01.2001
Neue Vorsaetze zum Jahreswechsel
Politiker sorgen mit Forderungen fuer Aufsehen
Neujahr ist die Zeit der kargen Nachrichten - dafuer umso mehr die Zeit der neuen Vorsaetze. Das gilt insbesonderes fuer die Politik. Angesichts der Vorsatzschwemme koennen heute nur die allerwichtigsten Wortmeldungen beruecksichtigt werden. Der damit verbundene Verzicht auf Vollstaendigkeit ist bedauerlich, aber in dieser Ausnahmesituation nicht zu vermeiden. Spaetestens nach dem Dreikoenigstreffen der FDP ist alles wieder normal. Auch Rainer Bruederle wird sich dann wieder zurueckhalten. Der FDP-Vize hatte an Silvester die sofortige Abschaffung der Sektsteuer gefordert.
Doch nicht nur die Liberalen waren zwischen den Jahren aktiv. Spitzenpolitiker aller Parteien sorgten fuer politische Paukenschlaege. Vor allem beim Thema Zuwanderung ueberraschten sie mit originellen und zukunftsweisenden Ideen. So forderte der wirtschaftspolitische Sprecher der saechsischen SPD, Karl Nolle, gestern eine "Rueckkehrerpraemie" fuer Sachsen. Bekanntlich haben zahlreiche Sachsen nach der Wende den Freistaat verlassen. Nolle fordert deshalb eine Praemie von 5.000 Mark fuer jeden heimkehrenden Sachsen. Dies waere "endlich einmal eine wirkliche Investition in die Jugend und damit in die Zukunft". Ministerpraesident Kurt Biedenkopf (CDU) muesse das Thema zur Chefsache erklaeren.
Waehrend Biedenkopf gestern noch schwieg, erhielt Nolle Schuetzenhilfe von weiteren Spitzenpolitikern, die darauf hinwiesen, dass das Problem der wenigen Inlaender nicht nur Sachsen betrifft.
Edmund Stoiber (CSU) etwa hat aehnliche Sorgen. Seine Bayern wandern zwar nicht aus - doch sie werden erst gar nicht geboren. Der dramatische Geburtenrueckgang sei "eine tickende Zeitbombe", warnte Stoiber. Viele junge, deutsche Paare schreckten aus Geldsorgen vor Zuwachs zurueck. "Hier muss endlich was geschehen." Stoiber fordert deshalb, das Kinderkriegen endlich angemessen zu bezahlen: mit 1.000 Mark pro Kind pro Monat.
Der Bevoelkerungsspezialist Helmut Schmidt (SPD) setzte bei seiner Analyse einen anderen Akzent: "Die Deutschen haben den Fehler gemacht, zu grosszuegig zu sein bei der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland", stellte Schmidt fest, "nun muessen wir mal ein bisschen bremsen." Schmidt aergert sich, dass der 1973 verfuegte Zuwanderungsstopp nur unzureichend eingehalten wurde: "Das war ein Fehler, weil sich herausstellte, dass die Deutschen nicht ausreichend dazu erzogen sind, mit diesen Auslaendern friedlich und als Gastgeber umzugehen."
Mit diesem Pauschalurteil wird sich Schmidt den Zorn seines Parteifreundes Gottfried Hain zuziehen. Der Buergermeister der weltoffenen Metropole Guben ist mit der Erziehung seiner Stadtjugend zufrieden: "Schon immer gab es kluge Koepfe, die es verstanden, Guben ueber die Grenzen der Region hinaus zu praegen", schrieb Hain gerade erst in einer Grussbotschaft auf seiner Homepage, "gastfreundlich zeigen die Gubener ihren Gaesten die schoensten Ansichten ihrer Stadt, die immer wieder bezaubern."
(Lukas Wallraff)