Karl Nolle, MdL
Neues Deutschland, 02.01.2003
Kinderbetreuung - Widersprüche und Klagen nach Kündigungen
Eltern wehren sich gegen Dresdner Sparbeschlüsse
Die Stadt Dresden hat beschlossen, nur noch die Kinder berufstätiger Eltern in Krippen- und Hortgruppen städtischer Kindertageseinrichtungen aufzunehmen. Gegen die deshalb verschickten Kündigungen gibt es jetzt Widersprüche; erste Klagen sind angekündigt.
Peter Lames ist Vater und Jurist. Ein solches Zusammentreffen von privaten und beruflichen Aufgaben ist derzeit in Dresden von Vorteil. Viele Eltern haben wenige Tage vor Weihnachten einen Brief aus dem Rathaus erhalten. Darin wird ihnen der Vertrag über die Betreuung ihrer Sprösslinge in Kindertageseinrichtungen gekündigt. Über die Rechtmäßigkeit dieses Schrittes entbrennt jetzt ein juristischer Streit, in dem Menschen mit Fachkenntnissen entschieden im Vorteil sein dürften.
Die bisher in Ostdeutschland beispiellose Kündigungswelle, von der 8300 Familien betroffen sind, ist Auswirkung eines drastischen Sparplans, mit dem Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) die Stadtkasse sanieren will. Mit dem Rückhalt der Stadträte von CDU und FDP wurde beschlossen, künftig nur noch für die Kinder berufstätiger Eltern einen Kita- oder Hortplatz bereitzustellen. Ursprünglich war sogar in Erwägung gezogen worden, die 2600 kommunalen Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren komplett abzuschaffen und Hortbetreuung nur noch in der ersten Klasse abzusichern. Auch mit der jetzigen Regelung übernimmt die sächsische Landeshauptstadt eine traurige Vorreiterrolle, indem sie als erste ostdeutsche Kommune gravierende Abstriche bei der Kinderbetreuung vornimmt.
Ob das Rathaus mit den Plänen durchkommt, ist indes fraglich. Zum einen prüft das Regierungspräsidium Dresden im Auftrag der Landesregierung die Rechtmäßigkeit der Einschnitte. Dabei gehe es insbesondere um die Zulässigkeit der Kündigung laufender Verträge, hieß es im Sozial- und im Innenministerium, wo angesichts der kommunalen Finanznot gleichwohl »Verständnis für das Setzen von Prioritäten bei der Vergabe von Betreuungsplätzen« geäußert wurde. Ob und in welchem Umfang die Stadt tatsächlich Plätze bereitstellen muss, ist strittig. In Sachsen gibt es für Kinder unter drei Jahren keinen Rechtsanspruch auf Betreuung. Allerdings gehört es zu den Pflichtaufgaben der Kommunen, ein »bedarfsgerechtes Angebot« zu gewährleisten. Wie dieser Bedarf zu definieren ist, muss jetzt geklärt werden.
Vor allem aber wehren sich betroffene Eltern gegen die Kündigungen. Wie der PDS-Landtagsabgeordnete Falk Neubert mitteilte, haben zwei Eltern, die einen Krippen- bzw. Hortbetreuungsvertrag abgeschlossen haben, bereits einen Rechtsanwalt mit der Einleitung juristischer Schritte beauftragt. Zunächst wurde die Stadt aufgefordert, die Kündigungen zurückzunehmen. Geschieht das nicht, soll zu Jahresanfang eine Klage eingereicht werden. Der Anwalt Andreas Boine bezeichnete die Klage als »Erfolg versprechend«. Daher sollten Eltern die vom Rathaus geforderte Bescheinigung über ihre Berufstätigkeit noch nicht abgeben.
Auch nach Ansicht des Juristen Dr. Lames stehen die Kündigungen auf schwachen Füßen. Der notwendige »wichtige Grund« für die Vertragsauflösungen sei nicht genannt worden. Lames, der auch einem Dresdner SPD-Ortsverein vorsteht, verweist zudem auf die Beschwerde zweier Stadträte seiner Partei, die den sächsischen Datenschutzbeauftragten eingeschaltet haben. Sie sehen die Datenerhebung über die Berufstätigkeit als nicht rechtmäßig an.
Neben den Juristen sind es vor allem linke Politiker, die über die Streichpläne erbost sind. PDS-Mann Neubert spricht von einer »Unverschämtheit«; der für schrille Töne bekannte Dresdner Unternehmer und SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle sogar von einem »sozialpolitischen Skandal«. Die Kritiker der Einschnitte befürchten, dass ein Erfolg des Dresdner Vorhabens andernorts Schule machen könnte.
Die Sorge besteht nicht zu Unrecht: In Sachsen-Anhalt wollen CDU und FDP den Rechtsanspruch auf Krippenbetreuung nur noch den Kindern berufstätiger Eltern zuerkennen. Dann könnten auch die dortigen Städte und Gemeinden Kündigungen nach Dresdner Vorbild aussprechen.
(Von Hendrik Lasch, Dresden)
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