Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 24.04.2003
Wer, wenn nicht Tiefensee - SPD im Kandidatendilemma
"Einer muß den Karren ziehen"
Leipzig/Dresden. Der Mann bemüht gern positive Worte wie "Aufbruchstimmung", "Elan" und "Kreativität". Immer wenn Leipzigs OB Wolfgang Tiefensee (SPD) auf die Qualitäten der Messestadt zu sprechen kommt, klingt es wie eine Lehrstunde in Politik. Da ist nichts zu spüren vom Kleinmut der Verwalter, der auch Tiefensees eigene Partei oft peinigt. "Leipzig kann und will Deutschland mitziehen", sagt der Sozialdemokrat selbstbewusst und meint Olympia - eine Chance für die Region, ein Segen für ihn selbst.
Das liegt an der politischen Gemengelage. Seit Jahren leiden Sachsens Sozialdemokraten unter ihrer eklatanten Schwäche. 2004 aber sind Landtagswahlen, und der 48-Jährige gilt als heimlicher Hoffnungsträger. Kein anderer als Tiefensee, so die bange Hoffnung, kann die '99er Wahlschlappe vergessen machen, als die SPD gegen "König" Kurt Biedenkopf (CDU) mit kaum mehr als zehn Prozent einen historischen Tiefststand erreichte. In gut einem Jahr, gegen Georg Milbradt (CDU), soll die Scharte ausgewetzt werden - wenn der Leipziger mitspielt.
Genau das ist jetzt noch unwahrscheinlicher geworden. Zwar ziert sich Tiefensee seit Monaten, lässt jede Spekulation zum Thema Spitzenkandidatur ins Leere laufen; nun aber, mit Olympia im Rücken, hat er dafür beste Gründe. "Mein Platz ist in Leipzig", sagt er mit Inbrunst all jenen Genossen, die ihn nach vorne schieben wollen. "Tiefensee ist ein Konsenstyp", dämpft ein Dresdner SPD-Mann allzu große Hoffnun-gen, der Job als unangefochtener OB liege ihm eh besser als ein beinhar-ter Wahlkampf auf Landesebene, bei dem sein Glanz Schrammen abbekommen könnte.
Das weckt Vorfreude bei der CDU. Vielen Christdemokraten gilt der Leipziger als Angstgegner, weil er sich nach außen hin erfolgreich gibt, parteiintern aber in Deckung bleibt. Die Alternativen zu ihm in der SPD sind Notlösungen. Constanze Krehl selbst und Thomas Jurk, der Fraktionschef im Landtag, kämen für die Spitzenkandidatur noch in Frage. Beide sind im Wahlvolk weitgehend unbekannt. Beiden wird nicht das Tiefensee-Format, das Zeug zum Volkstribun, nachgesagt. Also kann sich der jetzige Regierungschef Milbradt doppelt freuen. Vom Leipziger Olympia-Erfolg verspricht er sich "einen neuen Schub" fürs Land, und der SPD droht nebenbei der Spitzenkandidat abhanden zu kommen. So war es wohl kein Zufall, dass der Landesvater gern im Vorfeld der Entscheidung mit Tiefensee an einem Strang gezogen hat.
Ob diese Rechnung am Ende wirklich aufgeht, zeigt sich in einem Jahr. Denn erst wenige Wochen vor der Landtagswahl im September, so will es SPD-Landeschefin Constanze Krehl, soll die Entscheidung fallen. Doch auch dann sehen gebeutelte Sozialdemokraten noch immer eine Chance, Tiefensee für die Partei zu gewinnen - indem er sich in die Pflicht nehmen lässt, und sei's nur zeitweise. "Einer muss den Karren ziehen", meint der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, allein der Leipziger sei in der Lage, die SPD "aus dem Loch zu holen".
Der aber dürfte sich weiterhin nicht in die Karten gucken lassen. Denn klar ist: Die strukturelle Mehrheit für die CDU im Lande dürfte selbst Tiefensee nicht brechen. Doch ein Ergebnis, das fünf bis zehn Prozentpunkte höher liegt als das eines jeden anderen SPD-Spitzenkandidaten, dürfte er locker schaffen. "Wenn er antritt", meint ein SPD-Mann, "dann nur für die Partei, aber nicht um zu gewinnen". Im konkreten Falle heißt das: "Er bleibt OB" - egal, wie er sich entscheidet. Schließlich könne jeder Spitzenkandidat nach seinem Ausflug in die Landespolitik auf seinen alten Posten zurückkehren. Nur Tiefensee, der müsse halt mitspielen.
(Jürgen Kochinke)