Karl Nolle, MdL
Leipziger Volkszeitung, 06.05.2003
Mit Bangen schauen Sachsens SPD-Genossen auf Olympia und Tiefensee
Leipzig/Dresden. Leipzig jubelt, in der SPD macht sich Katerstimmung breit. Seit die Messestadt als Bewerberin für die Olympischen Spiele 2012 feststeht, befürchten Sachsens Sozialdemokraten, ihnen könnte ihr aussichtsreichster Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2004 abhanden gekommen sein. Der Grund ist Wolfgang Tiefensee, SPD-OBM und einziger Hoffnungsträger für die gebeutelte Partei im Lande. Seit Monaten wird der 48-Jährige von den eigenen Genossen gedrängt, und ebenso lange hüllt sich der Leipziger in Schweigen. Jetzt, so die Befürchtung, könnte er endgültig aufs hehre Olympia-Ziel setzen - und die SPD mit ihrer ungeklärten K-Frage allein lassen.
Das trifft vor allem Constanze Krehl. "Er ist eindeutig mein Wunschkandidat", sagt die SPD-Landeschefin, Tiefensee verbinde Charisma mit Durchsetzungskraft. Doch selbst Krehl hat derzeit kein Signal vom OBM. Folge: Immer wieder hat sie den Termin für den Krönungsparteitag nach hinten verschoben, damit dem Umworbenen Zeit bleibt, sich zu entscheiden. Jetzt steht der Termin für die Kandidatenkür. "Arbeitsgrundlage ist April '04", sagt Krehl - nicht früher, aber auch nicht später.
Damit erhöht sich der Druck auf Tiefensee. Intern geht Sachsens SPD davon aus, dass sich der Leipziger in der Sommerpause privat positionieren wird zur Gretchenfrage, die die SPD bewegt: Tritt er nun an gegen CDU-Regierungschef Georg Milbradt - oder nicht. Spätestens im Frühherbst sollten auch Sachsens Genossen klarer sehen.
Dabei ist die Alternative zum Leipziger reichlich unerfreulich. Zwar gibt es offiziell die "Viererbande", zu der neben Tiefensee und Krehl auch SPD-Fraktionschef Thomas Jurk und der Berliner Staatsminister Rolf Schwanitz gehören. Doch klar ist ebenso, dass keiner die Lücke füllen kann. Nach interner SPD-Rechnung beträgt der "Tiefensee-Effekt" zehn Prozentpunkte; tritt er an, so die Hoffnung, könnten die bitteren 10,7 Prozent beim Urnengang 1999 bald vergessen sein.
Das hat sich herum gesprochen. "Tiefensee gehört zu den fähigsten und kreativsten Köpfen der jüngeren SPD-Generation", meint zum Beispiel Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie. Die Olympia-Bewerbung schließe nicht automatisch aus, dass er als Spitzenkandidat antreten werde. Härter ist Karl Nolle. "Einer muss den Karren ziehen", drängt der Dresdner SPD-Landtagsabgeordnete, nur der Leipziger sei in der Lage, die SPD "aus ihrem Loch zu holen".
Die schlechte Ausgangslage aber ist einer der Gründe für Tiefensees Zögern. Eindeutig ist die strukturelle Mehrheit der CDU, selbst der OBM wäre wohl kaum in der Lage, Milbradt 2004 vom Thron zu stoßen. Für den Leipziger bliebe bestenfalls der zweite Platz: Oppositionsführer oder Minister in einer Großen Koalition unter Milbradt - keine grandiose Perspektive für einen, der sich als Macher von Olympia profilieren kann. Das genau weckt Vorfreude bei der Union. Vielen Christdemokraten gilt der Leipziger als Angstgegner, Olympia lasse seinen Auftritt nun in noch weitere Ferne rücken.
Doch hier ist das letzte Wort nicht gesprochen. "Er hat noch nicht nein gesagt", meint Krehl. Auch wenn Tiefensee keiner sei, der sich "vor den Parteikarren" spannen lasse, liege ihm doch "viel an einer starken SPD im Land". Im Klartext: "Seine Kandidatur bringt die SPD in eine bessere Position für die Wahlen, die folgen". Das sei auch Tiefensee bewusst.
Damit ist die Lesart klar. Mit seiner enorm gewachsenen Popularität könnte der Leipziger den Wahlkampf 2004 leiten, auch wenn er als OBM in der Messestadt bliebe. "Danach", meint ein SPD-Mann, "kann er immer noch auf Ganze gehen" - 2009 zum Beispiel, wenn wieder Landtagswahlen sind im Freistaat.
(Jürgen Kochinke)