Karl Nolle, MdL

Freie Presse, 12.06.2003

Rätselhaffes Zaudern

Ministerpräsident provoziert ohne Not unangenehme Fragen
 
Rasches Handeln dient der Schadensbegrenzung. Da kann Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt von Gerhard Schröder lernen. Sentimentalitäten kennt der Kanzler nicht, wenn skandalbelastete Minister seinen eigenen Ruf zu beschädigen drohen.

Schnelle Schnitte können auch bei der Verhinderung unangenehmer Fragen dienlich sein. Milbradt hat dazu den besten Zeitpunkt verpasst und darf daher für sich selbst keine Rücksicht mehr beanspruchen. Allen anders lautenden Ratschlägen zum Trotz hatte er mit Christine Weber eine Frau in sein Kabinett berufen, an deren fachlicher Eignung von Beginn an größte Zweifel bestanden. Nun fragen demotivierte Mitarbeiter des Sozialministeriums, welchen Stellenwert ein solch bedeutendes Ressort genießt, an deren Spitze eine Politikerin vom Format der amtierenden Ministerin gehalten wird. Mit Weber hat Milbradt nicht nur den Ruf des Hauses, sondern auch die Bedeutung eines Ministeramtes infrage gestellt.

Geradezu rätselhaft wirkt die Furcht des Regierungschefs, seine Sozialministerin könne zum Sozialfall werden. Ausgerechnet Milbradt, der beinhart wie kaum ein Zweiter die Gesetze der Marktwirtschaft auch im öffentlichen Dienst anwenden will, übersieht dabei das Schicksal von 450.000 Arbeitslosen in Sachsen, die von Übergangsregelungen und Pensionen einer Ministerin und Landtagsabgeordnetennur träumen können. Juristisch hat der Ministerpräsident seine Ministerin frei gesprochen. Moralisch ist der Schuldspruch auch in der eigenen Partei längst getroffen worden.

Die Reaktion in der Bevölkerung hat der Taktiker Milbradt falsch eingeschätzt und sich damit selbst eine Falle gestellt. Hält er an Weber fest, steigert sich der Unmut über das durchsichtige Pensionsspiel. Gibt er ihr den Laufpass, fürchtet er, nur dem öffentlichen Druck gewichen zu sein.

Hält Milbradt an Weber fest, steigert sich der Unmut über das durchsichtige Pensionsspiel.

Doch das ist nicht das einzige Dilemma Milbradts. Misstrauisch argwöhnt er, dass Medien und Opposition den Fall Weber nur als Hebel nutzen könnten, um andere wackelige Positionen aus seinem Kabinettsgefüge herauszubrechen. Wäre das ein Grund, an Weber festzuhalten, so würde Milbradt die Integrität, Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit anderer Ministerarg unterschätzen. Weber ist ein Ausnahmefall. Deswegen gilt die Auszeit, die sich die Ministerin nehmen musste, auch als der Versuch eines eleganten Abgangs von der politischen Bühne.
(Hubert Kemper)