Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 21.11.2000

Spannungsfaktor Berghofer

Ohne ein Oppositionsbündnis ist Herbert Wagner bis 2008 amtierender Oberbürgermeister
 
DRESDEN. Sollte kommenden Juni Wolfgang Berghofer zur OB-Wahl in Dresden antreten, dürfte es einen äußerst spannenden Wahlkampf geben.
Es mag viele verwundern, aber es ist nicht wegzudiskutieren: Zehn Jahre nach der Wende scheint derzeit der letzte Dresdner SED-Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer der einzige zu sein, der dem bereits von der CDU gekürten Kandidaten und derzeitigen Amtsinhaber Herbert Wagner bei der Wahl gefährlich werden könnte. Diesen Schluss legt zumindest eine von der Sächsischen Zeitung in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage nahe, die das Leipziger Institut für Marktforschung unter 515 wahlberechtigten Dresdnern vornahm. Fünf Kernaussagen lassen sich daraus ablesen (siehe Grafiken):

Erstens: Würde jetzt gewählt, hätte CDU-Mann Herbert Wagner wie erwartet die besten Chancen aller vier im Gespräch befindlichen OB-Kandidaten. Selbst wenn Christine Ostrowski von der PDS nicht antreten würde, damit ihre Stimmen zu Berghofer gehen, käme Herbert Wagner zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch auf 33 Prozent - der inzwischen vor allem vielen jungen Wählern unbekannte Berghofer auf 25 Prozent. Großen Grund zur Selbstsicherheit hat Herbert Wagner dennoch nicht: Den insgesamt 28 Prozent mit seiner OB-Arbeit zufriedenen Dresdnern stehen immerhin insgesamt 23 Prozent Unzufriedene gegenüber. Selbst unter den CDU-Sympathisanten sind nur 46 Prozent mit Wagner zufrieden.

Zweitens: Zu schlagen wäre Herbert Wagner nur durch ein Wahlbündnis aller oppositionellen Parteien. In den beiden durchgespielten Fällen entfallen auf die Oppositionskandidaten zusammen mindestens genauso viele Stimmen wie auf Wagner.

Drittens: In einem Oppositionsbündnis wären die Chancen für einen Kandidaten Wolfgang Berghofer sehr viel größer als für einen Kandidaten Karl Nolle (SPD) oder Christine Ostrowski (PDS). Berghofers Wählergunst ist mehr als doppelt so groß wie die von Nolle und Ostrowski, wie der direkte Vergleich aller vier Kandidaten zeigt. Kommt es zu keinem oppositionellen Wahlbündnis und zu keinem Antreten von Berghofer, dürfte der designierte SPD-Kandidat - der Druckunternehmer Karl Nolle - deutlich hinter der PDS-Stadträtin Ostrowski liegen; denn die würde dann den Großteil der jetzigen Berghofer-Stimmen auf sich ziehen.

Viertens: Die tiefere Analyse einer Wahl nur mit den Kandidaten Wagner, Berghofer und Nolle zeigt nach Alter, Geschlecht und Parteiensympathie sehr große Unterschiede. Frauen (28 Prozent) würden sich viel stärker als Männer (22 Prozent) für Berghofer entscheiden. Bei den Männern votieren 38 Prozent für Wagner, bei den Frauen nur 28 Prozent. Berghofer hat seine stärksten Bastionen bei den über 50-Jährigen (36 Prozent), die schwächsten bei den bis 29-Jährigen (neun Prozent). Wagner kommt dagegen in allen Altersgruppen auf Ergebnisse zwischen 31 und 34 Prozent. Nolle hat bessere Chancen bei den Männern (zwölf Prozent) und bei den Jüngeren (21 Prozent). Noch erstaunlicher sind die Unterschiede nach der Parteiensympathie: Herbert Wagner holt 66 Prozent seiner Stimmen bei den der CDU Nahestehenden, zwölf Prozent bei SPD-Anhängern und nur ein Prozent bei PDS-Sympathisanten ab. Anders Berghofer: Seine Wähler rekrutieren sich gegenwärtig zu 33 Prozent aus CDU-Sympathisanten, zu 31 Prozent aus PDS-Anhängern und nur zu zehn Prozent aus der SPD nahestehenden Wählern.

Fünftens: Fast jeder zehnte Dresdner will gegenwärtig keinen der vier im Gespräch befindlichen Kandidaten für die Jahre 2001 bis 2008 als Oberbürgermeister sehen. Und mehr als jeder Vierte wüßte nicht, für wen er sich entscheiden sollte. Insgesamt ist also ein Drittel des Wählerpotentials völlig offen - für Wagner, für Nolle, für Ostrowski und ebenso für Berghofer, falls er denn antreten sollte.
(von Jörg Marschner)