Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 17.06.2003
Im Fall Weber gerät Regierungschef Milbradt in Zugzwang
Ministerin länger krank/ CDU erwartet Machtwort
DRESDEN. Die Nachricht aus der Regierungszentrale klang wie ein Alarmsignal. Sozialministerin Christine Weber (CDU) sei "akut suizidgefährdet", teilte die Staatskanzlei gestern in Dresden mit, laut Stellungnahme des Arztes handle es sich um eine "schwere depressive Episode". Folge: Mit einer schnellen Rückkehr der angeschlagenen Ministerin ist nicht zu rechnen, schließlich finde die Behandlung "stationär und längerfristig" statt. Damit ist auch jeglicher Kontakt "zum Arbeitsumfeld" ärztlich untersagt - keine Termine, kein Kontakt zur CDU-Spitze.
Genau das ist das Problem von Georg Milbradt (CDU). Zwar zeigte sich der Regierungschef gestern "zutiefst betroffen" über den Gesundheitszustand der Ministerin. Doch klar ist ebenso, dass er politisch zunehmend in Zugzwang gerät. Denn nach zweifelhaften Fluthilfen, dubiosen Handy-Rechnungen und Freundschaftsdiensten für Verwandte gilt es in CDU-Kreisen schon seit längerem als ausgemacht, dass die Quoten-Frau im Kabinett nicht mehr zu halten ist. Die Lesart lautet: Weber habe sich mehr Feinde als Verdienste erworben, nun sei ein ernstes Machtwort überfällig.
Das ist Sache des Ministerpräsidenten. Bisher freilich zögerte Milbradt, hielt trotz peinlicher Kritik an Weber fest. Interessant ist dabei der Zeitpunkt für einen möglichen Rücktritt. Denn noch läuft die Frist, erst in knapp sechs Wochen erhält die 54-Jährige lebenslange Altersbezüge als Ministerin. Für Milbradt aber ist ein Zuwarten bis zum Stichtag 27. Juli unkomfortabel. Schon jetzt hagelt es in der Dresdner Parteizentrale Proteste, der erzgebirgische Ortsverband Deutscheinsiedel trat geschlossen aus der CDU aus. Und das Schlimmste: Beim Parteitag im September will der Ministerpräsident als CDU-Landeschef wiedergewählt werden, Zögerlichkeiten in Personalfragen könnten ihm selbst auf die Füße fallen.
Parteistrategen fürchten einen Dammbruch
Ein gutes Jahr nach der Amtseinführung und 15 Monate vor der nächsten Landtagswahl steckt Milbradt damit in der Bredouille. Denn Parteistrategen fürchten einen Dammbruch. Mit dem führungsschwachen Innenminister Horst Rasch, dem ehrgeizigen Wirtschaftsminister Martin Gillo und dem Porzellan zerschlagenden Wissenschaftsminister Matthias Rößler (alle CDU) sitzen drei weitere Wackelkandidaten im Kabinett. Was, wenn nach der Entscheidung in der Affäre Weber der nächste Minister in die Schusslinie kommt?
Seit gestern scheinen Bedenken solcher Art nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Seit ihrem Nervenzusammenbruch zu Pfingsten habe er noch nicht mit Weber persönlich reden können, sagte Milbradt gestern. Er hoffe aber, "dass wir in den nächsten Tagen miteinander sprechen können". In Dresden wird dies als klares Signal gewertet: Der Regierungschef wolle die Affäre jetzt "möglichst schnell beenden", hieß es aus seinem Umfeld - am besten noch in dieser Woche, in jedem Fall aber vor dem 27. Juli.
Damit hat die Suche nach einem Nachfolger von Weber im Sozialressort begonnen. Drei Varianten sind im Gespräch: Sozialstaatssekretär Albin Nees könnte bis zur Wahl 2004 Minister werden; eine Frau aus der CDU-Fraktion könnte - Stichwort: Quote - als neue Chefin ins Ressort einziehen; oder Milbradt findet einen externen Fachmann.
(S. Heitkamp/J. Kochinke)