Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 12.09.2003

Zwei Kerben am Colt

Wie sich der Dresdner SPD-Politiker Karl Nolle mit seiner Aufklärungswut überall Feinde schafft
 
Vor wenigen Wochen war es, erzählt der Dresdner Landtagsabgeordnete Karl Nolle, da spazierte eine Gruppe Christdemokraten an ihm vorbei. Plötzlich zischten zwei Worte zu ihm herüber: „Du Schwein!“ Der Sozialdemokrat mit der weit ausladenden Figur ahnt, wer es wohl war. Aber er will – ausnahmsweise, muss man sagen – keine öffentlichen Verdächtigungen anstellen. Mögliche Kandidaten gäbe es reichlich. Frei heraus, wenn auch nicht zum Zitieren, liefern Abgeordnete der Sachsen-Union ein breites Spektrum an Injurien über ihren einzigartigen Parlamentskollegen. Bei manchen schwingt kalte Verachtung mit, bei anderen heißer Zorn. Der Nolle sei ein Drecksack, ein Ekel, ein Psychopath, sagen sie – und meinen es auch so. Der sanfte CDU-Fraktionschef Fritz Hähle sagt, er würde mit jedem von der oppositionellen SPD ein Bier trinken gehen, „aber mit dem nicht“.

Hähle und seine Kollegen erzürnen sich über einen Politikstil, der seinesgleichen sucht. Der 1989 aus Niedersachsen nach Dresden gekommene Nolle versteht sich als Chefaufklärer von Skandalen rund um die sächsische Landesregierung und die sie tragende Union. Von ihm stammte ein Großteil der Informationen, die das vorzeitige Ende der Amtszeit von Kurt Biedenkopf einleiteten. Der manchmal beklemmend unbescheidene SPD-Abgeordnete reklamiert für sich, dass „ohne mein Zutun der heutige Ministerpräsident Georg Milbradt gar nicht im Amt“ wäre. Von Nolle kamen auch Informationen über den Flutantrag der inzwischen zurückgetretenen Sozialministerin Christine Weber an eine regionale Zeitung, die daraus eine Dauer-Kampagne strickte. Weber hatte Fluthilfe erhalten, obwohl ihr Haus durch Hangwasser beschädigt wurde. Nolle fragt da schon mal bei Journalisten nach, ob sie nicht würdigen wollen, dass er nun zwei Kerben am Colt habe.

Für den heutigen Freitag hat die CDU-Fraktion eine aktuelle Stunde über „negative Auswirkungen der Kampagnen eines SPD-Landtagsabgeordneten auf Firmenansiedlungen“ beantragt. Nolle feiert die Unions-Initiative genüsslich als „Ritterschlag“. Er hatte in einer Rede über „schwarzen Filz“ behauptet, dass die Stadt Stollberg dem Großinvestor Volkswagen, der dort ein Dieselmotorenwerk bauen will, ein mit einem Prozessrisiko behaftetes Grundstück verkauft habe. Der Vorwurf bezieht sich auf den Rechtsstreit um die Enteignung eines Landwirts nach dem Krieg. Volkswagen reagierte gelassen. Aber die Stollberger CDU-Abgeordnete Uta Windisch berichtet von verschreckten Investoren. Sie wirft Nolle schlampige Recherchen vor und weist seine Attacken zurück. „Ein Abgeordneter ist dem Wohl des Freistaats verpflichtet“, sagt Windisch. Nolle komme ihr mit seinem Enthüllungsdrang vor „wie ein Suchtkranker, der einen immer stärkeren Kick braucht“.

Wenn Nolle loslegt, greift der Brachialrhetoriker meist zum ganz großen Besteck. Zu seinem Repertoire gehören wortgewaltige E-Mails, Anzeigen gegen Politiker und umfangreiche Anfragen im Landtag. Journalisten behandelt er oft, als wären sie Komplizen. Bei jeder Geschichte überlegt Nolle, wem er sie im Interesse größter Wirkung exklusiv anbietet. Sobald irgendwas erschienen ist, verbreitet er die Artikel als vermeintlichen Beleg für die Brisanz seiner Vorwürfe.

Dabei lässt sich keineswegs alles, was von Nolle kommt, erhärten. Er selbst behauptet aber, dass er noch keinen Flop gelandet habe. Und er will nichts daran finden, dass er auch vor persönlichen Angriffen nicht zurückschreckt. Im Fall der Sozialministerin Weber lenkte er nicht einmal ein, als die nach einem Zusammenbruch in der psychiatrischen Klinik lag. „Was ist daran schmutzig“, fragt er mit Bezug auf die Biedenkopf-Affäre, „wenn ich frage, ob die Ehefrau des Ministerpräsidenten mit der Dienstkarosse die Enkel zum Kindergarten oder sich zum Fußnägelschneiden bringen lässt?“

Vorschnelle Bewerbung

Im Hauptberuf besitzt Nolle in Dresden eine Druckerei mit 75 Mitarbeitern, nebenher hat er als Wirtschaftspolitiker fundierte Analysen etwa zur Abwanderung vorgelegt. Bezeichnend für ihn ist sein unberechenbares Temperament. Eine vorschnelle Bewerbung für das Amt des Dresdner Oberbürgermeisters musste er vor drei Jahren zurückziehen. Selbst potenzielle Verbündete distanzierten sich von ihm. Schon bei seiner Auftaktveranstaltung gingen seine Emotionen mit ihm durch. Nolle äußerte die bizarre Idee, dass die Alliierten 1945 die Stadt Dresden vielleicht auch deshalb so verheerend bombardiert hätten, weil es in der Stadt überproporzional viele NSDAP-Mitglieder gegeben habe. „Ein Fehler“, räumt er inzwischen sogar ein.

Der Mann strebt nach Ämtern und will offenkundig vom Establishment geachtet werden, das er fortwährend attackiert. Das spiegelt sich in großspurigen Pressemitteilungen wider, die kundtun, dass er in einem Dorf Schützenkönig oder in Dresden wegen eines deftigen Zitats ausgezeichnet wurde. Stolz betont er auch, dass ihm aus der CDU insgeheim Respekt gezollt werde. Die heutigen Partei-Spitzen wüssten schon, „dass sie nur da sind, wo sie sind, weil ich daran mitgewirkt habe, dass Biedenkopf zurücktreten musste“. Der frühere Innenminister Heinz Eggert (CDU), auch ein Biedenkopf-Kritiker, duzt sich mit Nolle und begegnet ihm jovial: „Wenn ich dem sage“, so Eggert, „du bist ein Arschloch, grinst er halt nur.“ Trotzdem hat auch er Bedenken. Er hätte gehofft, so Eggert, „dass uns so ein Politikstil erspart bleibt“.

Mag sein, dass es ohnehin damit bald ein Ende hat – allerdings nicht, weil es die Union so will. In seiner eigenen Partei, der sächsischen SPD, hat Nolle zwar Bewunderer, aber auch mächtige Gegner, die gerade versuchen, ihn bei der Aufstellung der Liste für die Landtagswahl 2004 wegzuschieben. Die SPD will beim nächsten Mal an der Macht beteiligt werden. Bei einer großen Koalition könnte Nolle stören.
(Von Jens Schneider)