Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz - Stollberger Zeitung, 17.09.2003
Karl Nolle: "Wer den Sumpf trocken legen will, darf nicht die Frösche fragen"
SPD-Landtagsabgeordneter zu den Ereignissen im Landkreis Stollberg: Demokratie ist Kontrolle der Macht - Eine Pflicht des Abgeordneten
STOLLBERG. Der Landkreis Stollberg ist von einem Flächenbrand erfasst. Landrat Udo Hertwich und Teile der Kreis-CDU haben den Landkreis in eine tiefe politische Krise gestürzt. Der schwarze Filz im Landkreis ist eine Ursache für die Niederwürschnitzer Antikorruptionsveranstaltung der SPD gewesen. Über deren jüngste Wirkungen sprach Frank Walenszus mit Karl Nolle, SPD-Landtagsabgeordneter.
"Freie Presse": Herr Nolle, ist es üblich, die Gewissensfreiheit eines Abgeordneten zu reglementieren? Die Stollberger Landkreis-CDU war ja auf Initiative Ihrer Landtagskollegin Uta Windisch recht zahlreich im Dresdener Landtag vertreten.
Karl Nolle: Das beruhigende in unserer Demokratie und rechtsstaatlichen Ordnung ist die Gewissheit, dass diese Leute in Dresden, zwar mit schriller Stimme agieren können, aber sie haben keine Macht dazu, missliebige Kritiker verschwinden zu lassen, zu psychiatrisieren oder in Ruhigstellungsräume zu schaffen oder einfach nicht studieren zu lassen. Der Stollberger CDU-Brigadeausflug ist doch bezeichnend für die Kollegin Windisch, oder soll ich sagen, Christine Weber von Stollberg. Als Reiseveranstalter hätte ich jedoch noch eine weitere touristische Attraktion in diese Reise eingebaut, nämlich nach Zschopau, um sich über die Folgen von Hochmut und versuchter Untreue zu informieren.
"Freie Presse": Haben Sie den Landkreis Stollberg mit seinem Filz um Landrat Udo Hertwich, der möglicherweise auch andere Behörden einschließt, jetzt besonders im Visier?
Nolle: Der Hertwich-Korruptionsskandal ist ein Standard-Strickmuster der CDU in Sachsen, es ist nur das zurzeit tiefste Loch des schwarzen Sumpfes. Wer diesen Sumpf trockenlegen will darf dazu nicht die Frösche fragen. Das sich aber heute, 13 Jahre danach, öffentlich dokumentiert, dass diese CDU, die inzwischen wie eine Staatspartei im Lande agiert, bis heute keinerlei Selbstheilungskräfte entwickelt hat, um in ihrem Selbstbedienungsladen aufzuräumen, das ist erschreckend. Demokratische, rechtsstaatliche Gewaltenteilung ist de facto in Sachsen eine Geschichte aus Grimms Märchen. Gegenüber diesen Verhältnissen in Sachsen ist Bayern ein Hort des Liberalismus.
"Freie Presse": Den Kreistag am 24. September will die CDU-Fraktion zum Tribunal gegen den SPD-Fraktionschef Rolf Höfer machen. Sehen sie Parallelen zur Landes-CDU im Landtag?
Nolle: Parteigerichte, Parteikontrollkommissionen, Tribunale und Inquisition sind keine Mittel der Demokratie. Diese Überbleibsel aus der Einparteienherrschaft, dachte ich, sind überwunden. Die CDU scheint in eine Sackgasse marschiert zu sein. Sie sind Alleineigentümer des zurzeit größten Korruptionsskandals im Lande. Und sie besitzen die Unverfrorenheit mit dem Finger auf den SPD-Bürgermeister und Kreisrat Rolf Höfer zu zeigen, der es gewagt hat, auf diese Missstände und deren Urheber hinzuweisen. Wo im Lande ist denn jemals ein korrupter Landrat oder Bürgermeister oder ein anderer Amtsträger zur Rechenschaft gezogen worden?
"Freie Presse": Der Leiter des Rechtsamtes Stollberg, Bauer hat in einem Gespräch im Baudezernat des Landratsamtes gegenüber "Freie Presse" behauptet, Rolf Höfer und Sie hätten Unterlagen des Baudezernates im Landratsamt gemeinsam eingesehen und mitgenommen, die jetzt als Geheimnisverrat durch Höfer von CDU-Kreisräten gepuscht werden. Was ist daran wahr?
Nolle: Der Leiter des Rechtsamtes Stollberg scheint zu oft zusammen mit Frau Windisch und "Rudi" Fritz Hähle in der Geisterbahn gefahren zu sein. Gott sei dank gibt es noch viele Leute, in Verwaltungen und Ministerien, die nicht mehr bereit sind, jede "Schweinerei" ihrer Herrschaften zu decken. Aber ganz im Ernst, ich rede nur über das, was ich mit Papier belegen kann, nicht über Erfindungen. Und beim Bauantrag für das Altenheim der Kreiskrankenhaus Stollberg gGmbH vom 9. Oktober 2002, der rechtswidrig, durch Anweisung des Dezernatsleiter Christoph Herrmann, Busenfreund von Hertwich, genehmigt wurde, obwohl der zuständige Bearbeiter auf die Rechtswidrigkeit hinwies, rede ich nicht von einem Phantom.
"Freie Presse": Ihre Kollegin Windisch räumt in einer aktuellen Pressemitteilung ein, dass ein Prozessrisiko auf dem an VW verkauften Grundstück liege, und spricht von großer Wahrscheinlichkeit, das die Alteigentümer ihre Eigentumsansprüche nicht durchsetzen werden. Von diesem Prozessrisiko haben Sie doch auch gesprochen?
Nolle: In der Tat, das ist der Kern meines Vorwurfes. Das trifft doch nicht VW, über deren Ansiedlung wir uns alle freuen, die für die Region phantastisch ist. Nein, es trifft die selbstgefälligen Methoden der diversen von CDU-Parteibuch beherrschten Verwaltungen und Ämter. Man wusste von dem Prozessrisiko, man wusste vom Rückgabeanspruch der Alteigentümer, man kannte das Unrechtsurteil von Waldheim, man wusste von der menschen- und völkerrechtsrechtswidrigen politischen Verfolgung des Alteigentümers. Aber man hat die Augen zugemacht und hat so das stalinistische Unrecht noch einmal bestätigt.
Ich sage ganz klar: Wenn eine personenbezogene Enteignung vorliegt, die die Menschenwürde verletzt, sogar ein Rehabilitierungs-Urteil, dann greift das, was der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes in seinem Urteil vom 23. August 2001 klargestellt hat: : Es besagt im Ergebnis, dass Vermögensverluste aufgrund politischer Verfolgung nach geltendem Recht etwas anderes als Vermögensverluste (Enteignungen) sind, die das Vermögensgesetz erfasst; denn das Wiedergutmachen politischer Verfolgung, die die persönliche Menschenwürde verletzt und als zusätzliche Folge zu einem Vermögensschaden geführt hat, ist nicht im Vermögensgesetz geregelt, sondern allein in den Rehabilitierungsgesetzen (StrRehaG). Frau Windisch und Herr Hähle sollten sich einmal umfassend darüber informieren "lassen", welche rechtliche Bedeutung und welche unmittelbare Folgen ein Rehabilitations-Beschluss nach dem StrRehaG besitzt. Rehabilitation ist das höchste Rechtsgut um Unrecht ungeschehen zu machen.
Am Beispiel Stollberg wird ganz deutlich der Unterschied zwischen Sonntagsreden über die Opfer des Stalinismus und der Praxis einer zweiten Enteignung der ehemals verfolgten Betroffenen, deren Eigentumsrechte heute nur stören, setzt man sich mit der Arroganz der Macht darüber hinweg. Das nennen diese Leute dann unbürokratisch. Den Schaden hat hier Gott sei dank nicht VW. Den Schaden zu verantworten, inklusive aller Rechtsfolgen, hat ausschließlich die herrschende CDU um Frau Windisch. Unvorstellbar, jemand mit solcher vordemokratischen Schräglage könnte Stadtoberhaupt werden. Ich bestehe darauf, Rechtsstaatlichkeit, Rechtssicherheit und Planungssicherheit sind die höchsten Güter für die Bürger und für Investoren. Sie können und dürfen, aus welchen Gründen auch immer, nicht nach Stollberger Landrecht gehandhabt werden.
"Freie Presse": Freiheit ist immer auch die Freiheit Andersdenkender. Rosa Luxemburg prägte diesen Satz, der zur Wendezeit große Bedeutung erlangte. In einer bayerischen Zeitung las ich, dass Sie im Landtag aus einer Gruppe von CDU-Fraktionsmitgliedern des Landtages als "Schwein" bezeichnet wurden. Ist das die neue Freiheit?
Nolle: Dieser Satz der großartigen Rosa Luxemburg ist auch mein Credo, das mein Handeln bestimmt. Was diese Beschimpfung angeht; jeder Abgeordnete und in diesem Falle jede Abgeordnete blamiert sich so wie sie kann. Das zeigt nur die Hilflosigkeit und Kleinkariertheit ertappter Pharisäer. Beim Thema Filz sind diese Christdemokraten hoffnungslos in der Defensive.
(das Interview führte Frank Walenszus)