Karl Nolle, MdL
DNN - Dresdner Neueste Nachrichten, 17.10.2003
Sachsen will Mittelstand fördern
Fonds und Bürgschaften geplant/ Debatte um Regierungserklärung von Wirtschaftsminister Gillo
DRESDEN. Mit trauriger Stimme trug Regina Schulz ihre momentane Wirtschaftsbilanz für Sachsen vor: Unglaubliche Arbeitslosigkeit, die höchste Insolvenzquote, der höchste Bevölkerungsverlust, 2000 Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, strukturell völlig ausgeblutete Regionen. "Tauglichkeit für die dritte Liga, mehr ist nicht drin", attestierte die PDS-Politikerin gestern im Landtag Wirtschaftsminister Martin Gillo. Doch der gescholtene Christdemokrat, der auch in der CDU umstritten ist, zeichnete genau das gegenteilige Bild: Sachsen weise mit 1,4 Prozent das höchste Wirtschaftswachstum in Deutschland auf, habe mit 31,1 Prozent Exportquote einen Spitzenplatz im Osten und mit 193 000 Unternehmen die höchste Betriebsdichte, zähle mit 9,5 pro 100 Erwerbstätigen die höchste Selbstständigenquote und verbuche mit 26,3 Prozent die größte Investitionsquote aller neuen Länder. "Diese Staatsregierung", so Gillo, "ist stolz auf ihre wirtschaftspolitische Zwischenbilanz." Alles eine Frage des Standpunkts.
Weil aber auch Gillo klar ist, dass im Freistaat längst kein Wirtschaftswunder blüht, kündigte er in seiner ersten Regierungserklärung vor dem Parlament neue Initiativen zur Förderung des Mittelstandes an. Die Programme sollen Existenzgründern und jungen Firmen den Zugang zum Start- oder Investitionskapital erleichtern, wenn Banken bei der Vergabe von Darlehen mauern. Vor dem Hintergrund der strengeren Eigenkapitalrichtlinien für Banken (Basel II), die 2006 in Kraft treten sollen, müsse mehr für den Mittelstand getan werden.
So soll ab 2004 ein "Mittelstandsfonds" mit einem Fördervolumen von 30 Millionen Euro aufgelegt werden, getragen von der Sächsischen Beteiligungsgesellschaft. Der Freistaat fungiert damit als Kapitalgeber und stiller Gesellschafter bei Unternehmen und erhöht deren schwache Eigenkapitaldecke. Zugleich will Gillo im Rahmen des Programms "Bürgschaft ohne Bank" (BOB) jungen Firmen verstärkt mit befristeten staatlichen Bürgschaften unter die Arme greifen, damit sie leichter einen Kredit erhalten. Statt bisher 90 000 Euro könnten es künftig bis zu 160 000 Euro sein. "Die Kreditwirtschaft darf sich aus der Mittelstandsfinanzierung nicht zurückziehen", forderte Gillo.
Zugleich will der Minister kleine und mittlere Unternehmen besser auf Bonitätsprüfungen vorbereiten. "Indem wir Firmen kaufmännische Beratung für Konsolidierung und Neuausrichtung vermitteln und bezuschussen, können wir oft schon entscheidende Hilfe leisten." Doch auch die Banken müssten ihre Bewertungskriterien offen legen.
Von der Bundesregierung verlangte der CDU-Politiker erneut, die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe (GA) Ost in gleicher Höhe beizubehalten, die Investitionszulage über 2004 hinaus zu verlängern und die Fortführung der Ziel-1-Förderung durch die EU nicht zu torpedieren. Seit 1990 habe der Freistaat im GA-Rahmen mehr als 19 000 Investitionsvorhaben mit 7,2 Milliarden Euro unterstützt und Investitionen von 38,5 Milliarden Euro eingeworben. Sächsische Firmen hätten so mehr als 224 000 Jobs gesichert und 221 000 Arbeitsplätze neu geschaffen. Zugleich verteidigte Gillo die oft kritisierte "Leuchtturmpolitik". Das "Autoland Sachsen" sei dafür bestes Beispiel. Insgesamt gebe es in Sachsen seit 1990 etwa 5500 Firmenansiedlungen mit mehr als 22 Milliarden Euro Investitionen.
Die SPD schloss sich der rosigen Beschreibung indes nicht an. "Penetrantes Eigenlob, ja selbst gute Konzepte allein beheben die Defizite im Lande nicht", kritisierte SPD-Wirtschaftspolitiker Karl Nolle. Allein durch die Haushaltssperre würden Mittel erheblich zusammengestrichen. Nolles Fraktionskollege, DGB-Chef Hanjo Lucassen, lieferte dazu Zahlen: "Vergangenes Jahr sind jeden Tag 100 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze weggefallen. Bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von zwölf Beschäftigten gehen rechnerisch jeden Tag acht Betriebe verloren." Leuchttürme alleine reichten nicht aus, so Lucassen. "Wir können es uns nicht leisten, ganze Regionen wie die Lausitz oder das Erzgebirge von der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung abzuhängen."
(Eig. Bericht/rad)