Karl Nolle, MdL
Freie Presse, 17.10.2003
Sachsens Mittelstand genießt jetzt Gillos ganze Zuneigung
Regierungserklärung des Wirtschaftsministers fand geteiltes Echo
DRESDEN. Es war nicht leicht, den Wirtschaftsminister zum Offenlegen seiner Karten zu bewegen. Letztendlich verdankte der Landtag einem CDU-Abgeordneten, dem Wirtschaftssprecher Andreas Lämmel zudem, dass Martin Gillo erstmals eine Fachregierungserklärung abgab. „Dann stellen Sie doch einen Antrag", hatte Lämmel der PDS Frau Regina Schulz im Frühjahr ermuntert, als diese im Parlament die bisherige Abstinenz Gillos kritisierte. Die PDS handelte, und dank Enthaltung der CDU setzten die Sozialisten ihren Antrag durch - erst zum zweiten Mal in 13 Landtagsjahren.
Zufrieden stimmen konnte der Wirtschaftsminister die Opposition erwartungsgemäß nicht. Dabei hatte er sich gut vorbereitet und kaum ein Feld ausgelassen, das die Grenzen sächsischen Einflusses eingrenzt. Globalisierung, EU-Erweiterung, demografischer und struktureller Wandel, schrumpfende staatliche Budgets. Dagegen setzt Gillo seine Aufforderung: „Mehr Mut zur Freiheit". Damit verbindet er die Konsequenz, vom Einzelnen mehr Eigenverantwortung und den Staat mit seiner Bürokratie zum Rückzug aufzufordern.
Gillos Bild von der Wirklichkeit der sächsischen Wirtschaft ist rosarotgefärbt: Deutschlandweit die höchste Investitionsquote, im ersten Halbjahr 2003 höchstes Wirtschaftswachstum aller Bundesländer, eine überdurchschnittliche Ausbildungsquote, dazu Erfolge bei der Ansiedlung von Firmen.
Verstanden hat Gillo offenbar die Kritik an seiner Mittelstandspolitik. „99,9 Prozent aller sächsischen Unternehmen sind kleine und mittlere Unternehmen", stellte der Minister fest. Kleineren Unternehmen und Existenzgründern soll künftig verstärkt mit staatlichen Bürgschaften unter die Arme geholfen werden. Für 2004 kündigte Gillo die Einrichtung eines Mittelstandsfonds mit einem Fördervolumen von 30 Millionen Euro an. Träger soll die Sächsische Beteiligungsgesellschaft sein.
Karl Nolle, den wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, will Gillo demnächst auf eine Japan-Reise mitnehmen. Das hinderte den so Geehrten nicht daran, dem Ex-Manager Konzeptions- und Orientierungslosigkeit vorzuwerfen. Mit der Kürzung von Fördermitteln würden insbesondere die armen Regionen in Sachsen abgehängt. Die Liberalisierungspläne Gillos nahm DGB-Chef Hanjo Lucassen (SPD) aufs Korn. Der Minister verbreite den Eindruck, sozialer Ausgleich sei ein Luxus, den man sich nicht mehr leisten könne.
Auch Regina Schulz (PDS) vermisste bei Gillo ein Konzept, wie hausgemachte Probleme gelöst werden könnten. Sachsen sei „strukturell betrachtet" ein blutleeres Land. Die Rekordzahl bei den Insolvenzen belege das. Angesichts von 381.000 Arbeitslosen und 172.000 Langzeit-Arbeitslosen seien alle Maßnahmen, die auf die Senkung von Preisdumping oder Niedriglohn hinauslaufen, kontraproduktiv, sagte die PDS-Wirtschaftspolitikerin.
(Hubert Kemper)