Karl Nolle, MdL
Leipziger Volkszeitung - Bornaer Zeitung, 04.09.1999
"Politiker sind auch nur Menschen"
Diskussionsforum in Pegau
PEGAU. Ein Bundestagspräsident zum Anfassen war Wolfgang Thierse bei seinem Pegau-Besuch gestern nicht. Zu sehr drückte der Terminplan. Selbst der geplante Kurzspaziergang zum Kirchplatz musste ausfallen. Einigen Unternehmern aus der Elsterregion blieb dennoch in der einstündigen Diskussionsveranstaltung genug Zeit, dem zweithöchsten Repräsentanten Deutschlands ihre Probleme mit auf den Weg zu geben.
"Politiker sind auch nur normale Menschen. Sie geben lieber Geld aus, als dass sie sparen wollen", versuchte Thierse, die Distanz zwischen sich und den Zuhörern im Publikum zu überbrücken. "Aber die Gesamtrichtung des Sparens angesichts von 1,5 Billionen Mark Bundesschulden ist alternativlos", warb er für das Sparprogramm der SPD-geführten Regierung in Berlin. Mit den Stichpunkten Nullrunde bei Politikern, Abbau von Stellen in der Bundesverwaltung und damit von Bürokratie, steuerliche Entlastung von kleineren Einkommen sowie Senkung der Rentenbeiträge stieß er dabei auf Zustimmung im Saal.
Allerdings machten die anwesenden Unternehmer aus Pegau und Groitzsch dem Bundestagspräsidenten auch klar, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben. So rechnete Eckhard Landgraf, Geschäftsführer des großen Fleischereibetriebes Landhan, anhand konkreter Firmenzahlen vor, dass sich die Senkung der Sozialbeiträge und die Erhöhung der Kraftstoffpreise nahezu aufheben, es also keine Entlastung für das Unternehmen gibt. Eine bittere Auswirkung habe gar die Anhebung der Krankengeldzahlung auf 100 Prozent gebracht. "Wir haben bis zum 31. Juli schon den Krankenstand des gesamten Vorjahres überschritten. 14 Tage Grippe sind jetzt eben wieder wie verlängerter Urlaub."
Warum sich Handwerker ohne Meisterbrief selbstständig machen könnten, beschäftigte Zimmerer Frank Brückner. Und Bauunternehmer Dieter Hager verlangte mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Auch das fehlende Eingreifen des Staates bei schlechter Zahlungsmoral, an der viele Betriebe zugrunde gehen, wurde bemängelt.
Karl Nolle, der zum Wahlkampfteam des sächsischen SPD-Spitzenkandidaten Karl-Heinz Kuckel gehört, schob an Thierses Stelle den schwarzen Peter für die schlechte Mittelstandspolitik den vergangenen 16 beziehungsweise neun Jahren CDU-Regierung in Bonn und Dresden zu. Er bot Lösungsansätze durch ein Bündnis für Arbeit, Beschäftigung und Wachstum in Sachsen an. Vor allem verlangte er, dass das Ansehen des Unternehmertums in Deutschland gestärkt werden müsse.
Wie der Bundestagspräsident sagte, soll ein Gesetz, das schärfere Strafen für schlechte Zahlungsmoral vorsieht, noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Bei anderen Problemen, wie etwa verringerten Steuerzahlungen für Konzerne, verwies er darauf, dass europäische Regelungen gefunden werden sollten. Was er jedoch forderte: "Bei allem Sparen müssen wir in die menschliche Intelligenz investieren, mehr Geld für Bildung und Forschung ausgeben."
Nur kurz konnte der Aufenthalt von Wolfgang Thierse zur Unterstützung der Landtagskandidatin Karin Heimann in Pegau sein. War das doch nur eine von fünf Stationen an diesem Wahlkampftag. Zuvor hatte der Bundestagspräsident bereits die LVZ-Chefredaktion in Leipzig besucht und mit Gymnasiasten der 11. und 12. Klassen in Groitzsch diskutiert. Im Anschluss an das Forum im Pegauer Rathaussaal ging es gleich weiter nach Grimma, von dort nach Wurzen.
Für die Landtagswahl am 19. September sieht Thierse Chancen, dass die SPD Stimmen in Sachsen hinzugewinnt. "Es würde dem Land gut tun, wenn die Partei die zweite Kraft bleibt. Auch für die Verbindung zum Bund wäre das wichtig."
(Olaf Krenz)