Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 10.01.2004
Sachsens SPD hat Angst vor dem Absturz
Sozialdemokraten ziehen mit einem verkrachten Spitzenteam in eine aussichtslose Landtagswahl
Neun Monate vor der Landtagswahl zieht sich die sächsische SPD-Landeschefin Constanze Krehl überraschend von der Kandidatur zurück. Sie überlässt dem fast unbekannten Fraktionschef Thomas Jurk den Vortritt beim absehbaren Desaster im September gegen CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt.
Verkrachtes Spitzenteam (ddp)
Dresden · 9. Januar · Kurz vor Weihnachten mussten etliche Genossen noch mal ran, abkommandiert nach Leipzig zum Eintüten. Constanze Krehl, die SPD-Landeschefin und Europaabgeordnete, hatte eine Idee: Keine Weihnachtskarten an alle knapp 4700 Genossen, sondern ein Video. Zehn Minuten Krehl neben Tannenbaum und Tee trinkender Familie sowie Kanzlerbildern.
Eine "bodenständige, kraftvolle Frau mit Heimatgefühl" - das sollte die Botschaft sein. Eine Frau, die Sachsens CDU-Ministerpräsident Milbradt bei der Wahl im September aus dem Amt jagen wird.
Doch der Streifen, 4700 mal eingetütet und verschickt, löste blankes Entsetzen aus in der SPD. Wer das Werk, das wie eine Kreuzung aus früher Sowjetpropaganda mit einer Volksmusiksendung wirkte, gesehen hatte, war schockiert. Die 48-jährige Krehl bekam böse Briefe und musste mehrmals versichern, sie habe einen Teil der Kosten aus eigener Tasche bezahlt. Ihr Traum, im Herbst gegen Milbradt anzutreten, war aber zu Ende.
Sachsens SPD, erfahren in Pleiten und Niederlagen wie kein anderer SPD-Landesverband und im Landtag gerade noch zehn Prozent stark, hat drei schreckliche Monate hinter sich. Im November verkündete der heimliche Superstar, Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee, er werde nicht kandidieren. Das war das Ende aller Koalitionsträume. Dann preschte Krehl vor und erklärte sich zur Nummer eins. Daraufhin zog der eher schüchterne und mit ihr verfeindete Fraktionschef Jurk nach. Denn Krehl hatte, forsch wie sie ist, verkündet, ihn nach der Wahl als Fraktionschef abzulösen. Der SPD schwante Unheil, die Idee einer Urwahl erschien als Rettung. Alles wurde vorbereitet, Regionalkonferenzen angesetzt. Da passierte das Malheur mit dem Video.
Hoffnungslos
Wenn Sachsens SPD ein Computer wäre, Juso-Chef Martin Dulig würde ihn am liebsten herunterfahren, die Festplatte löschen und neu starten. Aber die SPD ist nur eine zerrüttete Partei, 4700 Mitglieder klein, meist zerstritten und neun Monate vor der Landtagswahl am 19. September wieder ohne einen Hauch einer Chance auf Regierungsbeteiligung. Weder mit der CDU noch mit der PDS. Rot-Rot war noch nie mehrheitsfähig im Dresdner Landtag. Grüne und FDP sind Splitterparteien.
Und die Sache mit der gefälschten ddp-Meldung.
Es gibt in Leipzig einen MDR-Nachrichtensprecher namens Ronald Lässig. Er hat an dem Weihnachtsvideo mitgearbeitet, berät Krehl in Medienfragen und will selbst für die SPD in den Landtag einziehen. Besser: wollte. Auch die Personalie dürfte sich erledigt haben. Denn vom MDR-Computer Lässigs wurde eine manipulierte ddp-Meldung in Umlauf gebracht, die SPD-Fraktionschef Jurk eindeutige Koalitionsabsichten mit der PDS unterstellte. Die Nachrichtenagentur ddp schickte eine Warnung raus, der MDR nahm den Nachrichtensprecher aus dem Programm. Jurk war sauer und die SPD bekam langsam Angst davor, was ihre Vorsitzende und ihr Berater noch alles anrichten könnten. Krehl zog sich schließlich am späten Donnerstagabend in die zweite Reihe zurück.
Jetzt will man als Tandem gegen Milbradt antreten: Am Lenker Jurk, der 43-jährige Ostsachse, Listenplatz eins und landesweit fast unbekannt, dahinter Krehl, Platz zwei. Die Aussichten sind düsterer denn je: Nach Umfragen liegt die CDU jetzt schon bei 59 Prozent. Nicht einmal Kurt Biedenkopf, der Sonnenkönig vergangener Jahre, kam mit der CDU vor Landtagswahlen auf bessere Umfragewerte, sondern legte am Wahltag stets noch zehn Prozent zu. Die SPD liegt bei 14 Prozent, doch in der Partei geht längst die Angst um, im Herbst mit einem einstelligen Ergebnis abzuschmieren. Zu ausgelaugt wirkt die kleine SPD, zu zerstritten, ideenlos und ohne Manieren.
Die Sozialdemokraten vereinbarten nach der Vorstandssitzung am Donnerstag, einen Strich unter die alten Querelen zu ziehen und geschlossen in den Wahlkampf zu ziehen. Die Worte waren noch nicht verklungen, die Treueschwüre noch nicht verhallt, da ging es schon wieder los. Der Landtagsabgeordnete Karl Nolle stapfte vor das nächstbeste Mikrofon und forderte Krehl zum Rücktritt vom Parteivorsitz auf. "Wir sind nicht mehr zu retten", meinte anschließend ein Dresdner Sozialdemokrat.
Im schwarzen Sachsen hat die SPD nie ein Bein an den Boden bekommen - abgesehen von Chemnitz und Leipzig, wo SPD-Oberbürgermeister regieren. Die CDU unter Kurt Biedenkopf holte 1990, 1994 und 1999 dreimal eine satte absolute Mehrheit. Die SPD baute ab: 19 Prozent mit der Spitzenkandidatin Anke Fuchs, 16 und schließlich zehn Prozent mit Karl-Heinz Kunckel.
(von Bernhard Honnigfort)
Anmerkung von Karl Nolle: Es findet sich kein solches Mikrofonzitat von mir nach Vorstands- und Parteiratssitzung. Da irrt B. Honnigfort.