Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, Sachsen am Sonntag, 11.01.2004

Parteien: Blasses Rosa statt Rot

 
SPD. Von der einstigen sozialdemokratischen Hochburg Sachsen ist nichts geblieben. Die SPD geriert sich heute als Splitterpartei.

Es gibt Antworten, die Politiker noch nach Jahren bereuen. Ob der heutigen Vize-Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Anke Fuchs, bewusst war, was sie ihrer Partei in Sachsen antat, als sie 1990 offenherzig erklärte: „Dann gehe ich eben zurück!" Damals sollte der West-Import als SPD-Spitzenkandidatin im ersten Landtagswahlkampf nach der Wende punkten. Statt dessen sagte Fuchs dem Reporter aber nur, was sie im Fall einer Niederlage machen wird. Ihr einstiger Kontrahent von der CDU hieß Kurt Biedenkopf und der reagierte anders: „Was soll das, natürlich bleibe ich auch dann in Sachsen." Der Rest ist bekannt.

Ob dies der wahre Grund dafür ist, dass Sachsens SPD bis heute ein politisches Schatten-Dasein fristet, bleibt umstritten. Auf jeden Fall war es der Anfang der nunmehr fast 14 Jahre anhaltenden Bedeutungslosigkeit. Fuchs verlor und verschwand. Ihren Nachfolgern sollte es nicht anders gehen.

Dabei war es zunächst an einem Ingenieur, die politische Aufbauarbeit pragmatisch anzugehen. Doch Michael Lersow, bis Juli 1993 erster sächsischer SPD-Landesvorsitzender, scheiterte schnell an den parteiinternen Dogmen der Nachwende-Ära. Sein Kurs, die DDR-Zeit nicht generell zu verteufeln und die regierende CDU forsch zu attackieren, sorgte in den eigenen Reihen für Widerstand. Zu viele der immer noch wenigen SPD-Genossen im Stammland der deutschen Sozialdemokratie gerierten sich lieber als Gralshüter der eigenen Geschichte.

Das tagespolitische Profil blieb dagegen ungeschärft. Neben dem verheerenden öffentlichen Eingeständnis, dass „der Biedenkopf seine Sache so schlecht nicht macht", fehlte der Mut zu den notwendigen Neuaufnahmen. Anträge zum SPD-Parteieintritt gerieten im Nachwende-Sachsen oft zu Tribunalen. Leute mit zu viel DDRVergangenheit hatten kaum Chancen auf den Eintritt in den selbst ernannten erlauchten Kreis. Wechselwillige Ex-SED-Mitglieder ohnehin nicht. Die Folgen: Die Basis blieb dünn und der Wähler winkte weiter ab.

Lersow rettete sich später in Zynismus. Anlässlich des zehnten Jahrestages der Wiedergründung des Landesverbandes zog er 2000 ein bitteres Fazit: „Zehn Jahre und wir existieren immer noch. Das ist doch was."

Zu diesem Zeitpunkt war allerdings auch schon sein Nachfolger gescheitert. KarlHeinz Kunckel, neuer Parteichef und langjähriger Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, verlor sowohl 1994 als auch 1999 als Spitzenkandidat haushoch. Am Ende waren es noch 10,7 Prozent der Wähler, die die sächsische SPD in der Verantwortung sehen wollten. Ein historischer Tiefstand, auf den die Partei seit ihrer Gründung in Deutschland noch niemals gefallen war.

Kunckel, dem neben hoher persönlicher Integrität auch reichlich Fachwissen bescheinigt wird, scheiterte an dem, was seine Gegner „Schmusekurs" nannten. Getrieben vom Leitsatz „Erst das Land, dann die Partei" setzte er stoisch auf Kooperation statt Konfrontation. Legendär wurden seine häufigen Waldspaziergänge mit Biedenkopf. Obwohl einen Kopf größer als der CDU-Ministerpräsident, geriet das öffentliche Meinungsbild über Kunckel dabei jedoch ins Gegenteil. Warum eigentlich noch SPD wählen?

Diese Frage konnte bis heute aber auch Constanze Krehl nicht überzeugend beantworten, der Kunckel noch in der Nacht seiner letzten Niederlage 1999, den Parteivorsitz übergab. Der Mitgliederstand stagniert heute bei 4 700. Genauso wie die Gunst der Wähler, die aktuell bei 13 Prozent liegt. Wenig Hoffnung für die sächsische SPD im Superwahljahr 2004 - zumal Lichtgestalten in den eigenen Reihen nicht in Sicht sind. Wolfgang Tiefensee, dem charismatischen Oberbürgermeister aus Leipzig, traute man die Rolle zu. Doch der schlug sie vor Wochen aus und damit auch das Kapitel Hoffnung zu.

Was der Sachsen-SPD bleibt, sind die Ikonen der Vergangenheit. Doch der legendäre August Bebel, der trotz Festungshaft auf dem Königstein der Sozialdemokratie nicht abschwor, taugt heute eher für Broschüren und nicht fürs politische Alltagsgeschäft. Auch der Sachse Herbert Wehner, einst Dauer-Chef der Bundestagsfraktion und graue Eminenz der SPD, dessen Aktentaschen im Dresdner Parteiarchiv geheiligt werden, haucht dem sozialdemokratischen Geist zwischen Görlitz und Plauen nicht mehr genügend Leben ein. Das rote Sachsen ist vorerst nur Geschichte. Die Erben müssen kämpfen, dass wenigstens ein blasses Rosa bleibt.
(von Gunnar Saft)


SPD-Geschichte

DIE GRÜNDERVÄTER
Am 23. Mai 1863 gründet Ferdinand Lasalle in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Die im ADAV zusammengeschlossenen Arbeiter verstehen sich als Erben der gescheiterten Revolution von 1848. Im August gründen August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach die Sozialdemokratische Arbeiterpartei. lm Mai 1875 kommt es in Gotha zum Vereinigungsparteitag.

KAISERZEIT
Ein Attentat auf Kaiser Wilhelm I. nimmt Reichskanzler Otto von Bismarck zum Anlass 1878 die Partei zu verbieten, 1890 wird das so genannte Sozialistengetz" wiederaufgehoben. Bis 1913 wächst die Partei auf etwa 1 Million Maglieder an.

WEIMARER REPUBLIK
Nach dem Rücktritt von Kaiser Wilhelm II. wird der Sozialdemokrat Friedrich Ebert 1919 der erste frei gewählte Reichspräsident. Die SPD beteiligt sich bis 1924 an verschiedenen Koalitionsregierungen und stellt mit Hermann Müller 1928 den Reichskanzler.

NAZI-ZEIT
Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 stimmen die SPD-Reichstagsabgeordneten gegen das Ermächtigungsgesetz. Die Partei wird verboten.

BRD/DDR
Nach dem 2. Weltkrieg kommt es in der Ostzone zur Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED. Im Westen ist die SPD zunächst Oppositionspartei, sie tritt 1966 mit der CDU in eine Große Koalition ein und übernimmt 1969 mit Willy Brand als Bundeskanzler die Regierung. 1974 wird Helmut Schmidt Bundeskanzler. 1982 endet diese sozialdemokratische Regierungsperiode. In der DDR wird 1989 in Schwante bei Berlin die SDP gegründet und am 1. Januar 1990 in SPD umbenannt.

VEREINIGTES DEUTSCHLAND
Bereits am 27. September 1990 kommt es zur Vereinigung der Ost- und westdeutschen SPD. In Sachsen war schon im Mai 1990 ein Landesverband gegründet worden. Erster Parteivorsitzender wurde Michael Lersow. In Sachsen steht die SPD seit 1990 in der Opposition, im Bund regiert sie seit 1998 mit Bundeskanzler Gerhard Schröder.