Karl Nolle, MdL
Dresdner Neueste Nachrichten DNN, 16.01.2004
Große und kleine Unbekannte
Dresden/Leipzig. Ronald Lässig hat schlecht geschlafen. Die letzte Nacht und die Nächte davor. "Immer wieder gehen mir die gleichen Fragen durch den Kopf." Lässig, suspendierter MDR-Nachrichtenmann und SPD-Landtags-Direktkandidat im Wahlkreis Leipzig 1, fühlt sich als Opfer einer Intrige - und sucht jetzt verzweifelt nach jedem Strohhalm für seine Rechtfertigung.
Kurze Rückblende: Von Lässigs Computer ging am 6. Januar eine frisierte Meldung der Nachrichtenagentur ddp per E-Mail an mehrere SPD-Mitglieder. Die Meldung unterstellte Fraktionschef Thomas Jurk die Absicht, mit der PDS kooperieren zu wollen. Zum Geschmäckle wurde die Botschaft durch Lässigs politische Nähe zu Parteichefin und PDS-Gegnerin Constanze Krehl. "Ein einmaliger Skandal", giftete SPD-Chefaufklärer Karl Nolle. Lässig wurde vom MDR vom Sender genommen, die Urwahl der SPD abgeblasen.
Soweit, so gut. Aber nicht für Lässig. Sein Anwalt habe ihn ermuntert, den juristischen Kampf mit dem MDR und Parteifreund Nolle aufzunehmen. Schwergewicht Nolle soll die Behauptung zurücknehmen, Lässig sei der Pressesprecher von Constanze Krehl. Und der MDR soll ihn zurück auf den Bildschirm lassen. "Intendant Udo Reiter habe ich eine Frist bis 20. Januar gesetzt." Sonst droht Lässig mit "arbeitsrechtlichen Konsequenzen." Sein Hauptargument: Man habe ihn nicht angehört, ein Termin bei MDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich am 7. Januar um 15 Uhr habe ihn nie erreicht.
Überraschend räumt Lässig gegenüber unserer Zeitung ein: "Ich wollte die Agenturmeldung verschicken, aber im Original und nur, weil ich Jurks Wahlkampfthemen interessant fand." Er sei aber kurz vorm Absenden gestört worden, ein Unbekannter soll von seinem Rechner die gefälschte Meldung gleich zweimal verschickt haben. Einen Großteil der E-Mail-Adressen habe er zuvor in den Sende-Verteiler getippt. Um den Schlaf bringt Lässig aber auch noch ein anderer Gedanke. "Mein direkter Gegenkandidat bei der Wahl ist Robert Clemen von der CDU. Und der ist auch beim MDR beschäftigt, zurzeit beurlaubt. Da frage ich mich schon, wollte man mich da weg haben?"
Mit Rundumschlägen solcher Art macht sich der Geschasste keine Freunde - nicht beim MDR, nicht bei der CDU. "Lässig neigt zu abstrusen Verschwörungstheorien", kontert Clemen. Die Vorstellung, er als CDU-Mann habe über den Sender Einfluss genommen, sei "völlig abwegig". Auch der MDR fühlt sich brüskiert. "Herr Lässig muss aufpassen, dass er sich nicht selbst schadet", sagt MDR-Sprecher Eric Markuse. Man wolle sich von Lässig trennen - möglichst per Einigung.
Laut Markuse kann dies nur im Sinne von Lässig sein. Denn mittlerweile sei die interne Überprüfung des Falls durch MDR-Sicherheitstechniker abgeschlossen. Ergebnis: Ein Zugriff von außen auf Lässigs Computer habe "definitiv nicht stattgefunden"; alle MDR-Mitarbeiter in der Redaktion - ein Großraumbüro - hätten zudem dienstliche Erklärungen abgegeben, dass zur fraglichen Zeit "niemand sonst an seinem Platz war". Darüber hinaus droht Ärger mit der Nachrichtenagentur ddp. "Wir sind empört", sagt Geschäftsführer Lutz Schumacher, sein Haus habe "eine umfangreiche Strafanzeige gestellt, gegen Lässig und Unbekannt".
Eng wird die Lage für den Ex-Nachrichtenmann aus einem anderen Grund. Lässig sorgt mit seinen Vorwürfen weiter für Wirbel in der ruhebedürftigen SPD. Neuestes Beispiel:Nach den Angriffen geht auch Nolle wieder in die Offensive, beharrt auf der Lesart: Die Fälschung sei eine "gezielte Desinformation", erinnere an "Stasi-Methoden". Offen sei lediglich, wer die Mail versendet habe.
Unterdessen lichtet sich im Fall selbst das Dunkel.
Fest steht, dass Lässig entgegen seiner Aussage zeitweise als Öffentlichkeitsarbeiter für Krehl fungierte; und dass die Versendung von Meldungen abonnierter Nachrichtenagenturen an nicht-zahlende Parteimitglieder zumindest problematisch ist. Rückendeckung bekam der Angeschlagene gestern vom SPD-Ortsverband Leipzig-Mitte. "Für uns gilt bis zum Gegenbeweis die Unschuldsvermutung", sagt Vorstandschef Manfred Rauer, Lässig sei weiter Direktkandidat.
(von Olaf Majer/Jürgen Kochinke)