Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, dpa, 24.01.2004
Wird jetzt der Soli-Zuschlag erhöht?
Vor dem Hintergrund drohender Entschädigungszahlungen an enteignete DDR-Bürger bringen Ost-SPD-Politiker den Solidaritätszuschlag ins Gespräch.
Nach dem Straßburger Urteil zur Enteignung ehemaliger DDR-Bürger haben ostdeutsche SPD-Politiker wegen drohender Entschädigungszahlungen einen höheren Solidaritätszuschlag ins Gespräch gebracht.
"Man wird wohl nicht darum herumkommen, den Solidaritätszuschlag zu erhöhen, falls durch das Urteil Entschädigungen in Milliardenhöhe auf die ostdeutschen Länder zukommen", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaas Hübner der "Bild"-Zeitung (Samstag). Der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle sagte dem Blatt: "Notfalls muss der Solidarbeitrag erhöht werden."
Widerspruch kam dagegen vom innenpolitischen Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz. Er sagte im WDR: "Das ist zu diesem Zeitpunkt völlig abwegig." Erst zum 1. Januar seien die Steuern gesenkt worden. "Da wollen wir die Leute nicht durch eine erneute Steuer-Anhebungsdebatte verunsichern. Das ist vollkommener Unsinn." Das Urteil müsse nun in Ruhe abgewogen werden. SPD-Fraktionsvize Hans-Joachim Hacker forderte in der "Welt am Sonntag" die Bundesregierung auf, "ernsthaft" zu erwägen, "ob sie bei der großen Kammer des Europäischen Menschengerichtshofs Einspruch einlegt."
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte am Donnerstag die Enteignung von rund 70000 Grundstücken aus der DDR- Bodenreform nach der Wiedervereinigung als einen Verstoß gegen die Menschenrechte bewertet. Zehntausende Erben von Neubauern-Land verloren nach einem Bundestagsbeschluss 1992 ohne Entschädigung ihre Flächen, wenn sie selbst nicht mehr in der Landwirtschaft tätig waren.
Kläger-Anwältin Beate Grün hält es indes für unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung Rechtsmittel einlegt. "Ich glaube nicht, dass sich die Bundesrepublik Deutschland diese neue Blamage antut", sagte sie in einem dpa-Gespräch. Es sei unwahrscheinlich, dass die große Kammer des EGMRden Fall überhaupt zur Entscheidung annehme. "Der Gesetzgeber muss jetzt tätig werden und ein Rückabwicklungsgesetz schaffen", sagte Grün. "Alleine das würde Gerechtigkeit wiederherstellen."
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) forderte eine bundesweit einheitliche Regelung zur möglichen Entschädigung der Opfer. "Es wäre das allerschlimmste, wenn jedes Bundesland täte, was es für richtig hält", sagte er in einem dpa- Gespräch. Ein Gesetz müsse regeln, wie der Wert der enteigneten Flächen und somit die Höhe der Entschädigung festgesetzt werden solle. Die Regelung müsse schon in diesem Jahr vom Bund beschlossen werden. "Die Sache hängt jetzt in der Luft." Aus seiner Sicht ist es ausgeschlossen, dass die Länder die Verpflichtungen aus dem Urteil alleine schultern können.
Der Jenaer Staatsrechtler Matthias Ruffert sieht allein die Bundesregierung für Entschädigungszahlungen verantwortlich. "Ich sehe keinen Tatbestand, warum die Länder zahlen sollten", sagte er in einem dpa-Gespräch. Allerdings werde der Bund sicher versuchen, die Länder an den Kosten zu beteiligen. "Schließlich haben sie den 1992 enteigneten Grund und Boden zugesprochen bekommen."
(dpa)