Karl Nolle, MdL

SPIEGEL ONLINE, 06.02.2004

"Schröder soll Parteivorsitz niederlegen"

 
Gerhard Schröder ist weiter unter Beschuss - immer mehr Genossen fallen ihm in den Rücken. Die Vorsitzende der Hessen-SPD, Ypsilanti, fordert den Kanzler auf, den Parteivorsitz abzugeben, und der niedersächsische SPD-Fraktionschef Gabriel verlangt mehr soziales Profil von seiner Partei.

HANNOVER - Sigmar Gabriel geht mit den Genossen scharf ins Gericht: "Die Umfrageergebnisse sprechen eine deutliche Sprache", ruft er ihnen ins Gewissen, "sie zeigen, dass wir erhebliche Schwierigkeiten haben, uns bei den Menschen verständlich zu machen." Gegenüber der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse" sagte Gabriel weiter, die Kernfrage für die Sozialdemokratie sei nun, ob es bei all den Reformprojekten gelinge, eine soziale Balance herzustellen.

"Reform bedeutet ja nicht, dass man den Menschen immer in die Tasche greifen muss", sagte Gabriel. Bundeskanzler Gerhard Schröder habe Recht, wenn er sage, dass die Grenze der Belastbarkeit erreicht sei. Anstelle einer Kabinettsumbildung in Berlin sei ein Themenwechsel nötig: "Bildungspolitik, Familienpolitik, die Lage der unteren Einkommensgruppen darum müssen wir uns verstärkt kümmern. Dann geht es auch wieder aufwärts", sagte der frühere niedersächsische Ministerpräsident.

Kritik am Kanzler kommt auch vom hessischen Landesverband. Die dortige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti hält es für sinnvoll, dass Schröder den Parteivorsitz der SPD niederlegt. Der "Rheinischen Post" sagte sie, die Lage der SPD sei "sehr schlimm" und die Arbeitsbelastung des Kanzlers enorm. Schröder müsse endlich sozialdemokratische Politik machen.

Die Wiesbadener SPD-Chefin forderte zudem, Unternehmen, die keine Lehrlinge ausbilden, müssten mit einer Abgabe belastet werden. Große Unternehmen dürften nicht ihre Probleme dem Staat vor die Füße kippen. Auch müsse die Erbschaftsteuer erhöht werden.

Der niedersächsischen SPD-Landeschef Wolfgang Jüttner hatte eine Kabinettsumbildung gefordert. Nun zogen auch andere sozialdemokratische Politiker in Thüringen und Sachsen nach und forderten personelle Konsequenzen. Der Thüringer SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider sagte, die Probleme der SPD seien "hausgemacht". Das schlechte Ansehen der Sozialdemokraten in der Öffentlichkeit habe vor allem die erste Reihe im Kabinett zu verantworten. So denke die Mehrheit in der SPD-Bundestagsfraktion, betonte der Haushaltsexperte. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) treffe mit den Pannen bei der Gesundheitsreform die Hauptschuld. Sie hätte viel eher eingreifen müssen und sich nicht auf die Verbände verlassen dürfen.

Schneider kritisierte auch Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) wegen dessen überraschenden Vorstoßes zur Autobahn-Privatisierung. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) warf er Versäumnisse in der Bildungspolitik vor. Ihre Absicht, zehn Elite-Universitäten etablieren zu wollen, sei "totaler Quatsch".

Der sächsische SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle forderte ebenfalls den Austausch von Ministern. "Auch ich bin für eine Kabinettsumbildung. Aber mit einem Austausch von Köpfen allein ist es nicht getan. Wir brauchen eine andere politische Strategie, müssen die Menschen mehr mitnehmen", sagte er.