Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, 07.02.2004
Problem erkannt - Gefahr gebannt?
Reaktionen auf Rücktritt Schröders pendeln in Sachsen zwischen Jubel und Spott - Krehl überrascht
Chemnitz/Dresden. Zwischen Applaus und Spott pendeln die Reaktionen in Sachsen auf den Rücktritt Gerhard Schröders vom SPD-Parteivorsitz - je nach Partei, versteht sich. Michael Luther, Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Sachsen im Bundestag, sieht Schröders Schachzug in erster Linie als Partei-interne Angelegenheit an. Schröder hat sich von den Zwängen seiner Partei gelöst." Für Deutschland wäre es jedoch besser, wenn Schröder auch „das andere Mandat zurückgegeben" hätte, sagte Luther. Dennoch sieht der CDU-Politiker in dem Schritt eine Chance, dass die Reformen vorangetrieben werden. „Die Reformen sind zwar nicht ausreichend, gehen aber in die richtige Richtung", sagte Luther. Es müsse alles getan werden, sie voranzutreiben. Die Opposition stehe bereit, unterstrich er.
Peter Jahr, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Mittweida, attestiert Schröder politischen Instinkt. Die Menschen seien mit der Arbeit der Bundesregierung sehr unzufrieden, sagte Jahr. Sie haben Veränderungen gefordert, und der Kanzler habe gehandelt. Allerdings hätte der CDU-Politiker es lieber gesehen, wenn Schröder Minister ausgetauscht hätte. „Wer erhebt eigentlich mit Nachdruck die Stimme des Ostens?" fragt Jahr. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe, der zugleich Regierungsbeauftragter für den Osten ist, gibt Jahr zufolge eine extrem schlechte Figur ab. Sein Defizit könne sogar in Euro beziffert werden, schimpft der Abgeordnete und spielt damit auf die entgangenen Milliarden aufgrund des MautDesasters an. Gesundheitsminsterin Ulla Schmidt hält Jahr für ausgepowert. „Sie gehört ausgewechselt" Und auch Innenminister Otto Schily steht auf Jahrs Abschussliste: „Schily sieht inzwischen ziemlich alt aus." Jahr fordert Schröder auf, endlich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen.
Mehr Verständnis findet Schröder für seinen Schritt in den eigenen Reihen. Sachsens SPD-Fraktionschef Thomas Jurk sagte: „Eine Entscheidung, die Respekt verdient, aber auch als Signal zu verstehen ist. Die Partei befindet sich in einer gedrückten Stimmung und müsste auf dem Weg zu Reformen stärker mitgenommen werden. Jetzt könnte neue Bewegung aufkommen. Die Seele der Partei hat zuletzt gelitten. Franz Münterfering traue ich zu, dass er die richtigen Mittel zur Heilung kennt und einsetzt."
Sachsens SPD-Chefin, Constanze Krehl, gab sich indes gestern sehr überrascht. „Der Schritt kam sehr unvorbereitet", sagte Krehl. Die Entscheidung sei gewiss „schwierig gewesen, aber richtig. Richtig und gut für die künftige Arbeit in der Regierung und in der Partei". Schröder habe in der Vergangenheit häufig „unterschätzt, welche Arbeit er in der Partei leisten muss. Das Amt des Parteivorsitzenden und das des Kanzlers unter einen Hut zu bringen, sei eine schwierige Aufgabe. Diese schwere Last würde jetzt auf zwei Schultern getragen, sagt Krehl. Schröder habe das „Problem erkannt und den ersten Schritt getan'. Krehl geht davon aus, dass der designierte Parteivorsitzende Müntefering die Vermittlungsprobleme lösen und die Bundes-SPD wieder zusammenbringen kann. Der Fraktionschef genieße großes Vertrauen und habe daher gute Voraussetzungen, Einigung in der „zerstrittenen Partei herbeizuführen".
In der Amtertrennung sieht Staatsminister Rolf Schwanitz aus Plauen ein wichtiges Signal, das auch der sächsischen SPD bei den Landtagswahlen in diesem Jahr helfen wird. Durch die Verteilung der Macht verspricht er sich eine Stärkung der Partei und eine Rückkehr zur Normalität: Schröder habe vor fünf Jahren nur deshalb den Parteivorsitz übernommen, weil sein Vorgänger Oskar Lafontaine ein Machtvakuum hinterlassen habe. Laut Schwanitz sei Müntefering nun der richtige Mann, um den Reformprozess in und außerhalb der Partei zu vermitteln: „Er steht mit beiden Beinen im Leben und genießt in den Landesverbänden in Ost und West ein hohes Ansehen."
(Von Kristina Hofmann, Hubert Kemper und Antje Kloppenburg)