Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 05.12.2000

Licht aus für Lichtspiele

Kino am Hauptbahnhof schließt nach 50 Jahren / Umzug fraglich
 
DRESDEN. Mittwoch 22 Uhr wird Manfred Krieger ein letztes Mal die Stufen zur Vorführkammer des Filmtheaters Hauptbahnhof hinaufsteigen. Ein letztes Mal wird er zwei Filmrollen einlegen und das legendäre Hauptbahnhofkino mit niveauvoller Kinokunst ausleuchten. Dresden verliert damit das Relikt der Filmtheater aus alten Zeiten: knarrende Holzsitze, Blümchentapete, Deckenverkleidung aus Bast. Und alles ohne Popcorn. Krieger ist alter Hase auf dem Markt: In über zehn Kinos des Landkreises arbeitete er bereits. In seinen Häusern traten Größen wie Gunther Emmerlich und Günther Fischer auf. Oft waren die Theater ausverkauft. Noch heute schwärmt er von alten Zeiten am Schillerplatz: "Wir durften manche Filme nur einen Abend spielen, die Schlangen waren aber endlos lang. So haben wir einfach weitergemacht. Um 2 Uhr Nachts hatten dann endlich alle die Streifen gesehen." Das baufällige Lichtspielhaus am Schillergarten schloss in den Siebzigern. Und auch im Filmtheater West (Altcotta) und in den Stephenson-Lichtspielen musste Krieger den Vorhang endgültig schließen. Hier wirkte die Treuhand als Vollstrecker.

Bahn, Stadt oder Aufbaugesellschaft?

Wie in allen Häusern zuvor, konnte auch der Hauptbahnhof nicht über Besuchermangel klagen - im letzten Jahr schauten 29 000 Liebhaber vorbei. Doch Eigentümer des Hauses ist die Bahn AG. Sie schickte Krieger im Oktober die Kündigung. Offizielle Begründung war bis dato das Baugeschehen am Wiener Platz. Die Sicherheit der Kinobesucher wäre nicht länger zu gewährleisten, ließ die Bahn verlauten. Auch 7 500 Unterschriften zum Erhalt des Kinos änderten nichts an dem Entschluss. Nun will der mögliche SPD-Oberbürgermeisterkandidat Karl Nolle in Gesprächen mit der Bahn herausgefunden haben, dass "die Stadt zusammen mit der Aufbaugesellschaft Prager Straße (AGP) die maßgeblichen Initiatoren der Schließung" wären. Doch die Stadt weist dies zurück. "Vom Dezernat Finanzen- und Liegenschaften ist nichts ausgegangen", heißt es aus dem Büro von Bürgermeister Hanspeter Stihl (CDU). Auch Ulrich Höver, Pressesprecher der Stadt, beruhigt: "Wir sind für den Erhalt kleiner Kinos. Alles andere wäre absurd!" Reinhard Martin, Chef der AGP und zugleich SPD-interner Gegenspieler zu Nolle, hält sich bedeckter: "Unser Planungsgebiet endet an der Hausmauer zum Bahnhof." Auf weitere Nachfrage gesteht er jedoch ein: "Wir haben diverse Vorschläge zur Umgestaltung des Wiener Platzes gemacht. Dazu gehörte auch ein Eingang zum Bahnhof auf der Westseite. Entscheiden wird am Ende aber die Bahn." Diese wiederum lässt sich nichts in den Mund legen. Pressesprecher Jörg Bönisch: "Es gibt noch keine festen Pläne zur Gestaltung des Bahnhofs." Dennoch möchte man Manfred Krieger keine falschen Hoffnungen machen, dass nach Ende der Bauarbeiten ein erneuter Einzug des Kinos möglich wäre. Statt dessen wird ein sofortiger Umzug an die Ostseite des Bahnhofes forciert. Bönisch: "Wenn jeder der 7 500 Unterstützer nur wenige Mark spendet, sollte doch ein Neuanfang möglich sein." Das heißt Abschied nehmen vom verstaubten Ambiente. Heute und morgen laufen "Die Legende von Paul und Paula", "Baise-moi" sowie "Der Krieger und die Kaiserin." Und noch einmal hört man dazu die rumpelnden Züge auf Gleis 19
(Von Norbert Schott)