Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, Seite 6, 13.03.2004
„System Pilz" funktionierte schon in Bayern
Partei- und Vetternwirtschaft als Sprungbrett für sächsische Polizeikarriere - Ein zwangspensionierter Ex-Kollege erhebt schwere Vorwürfe
Dresden. Furth im Wald. Hier verrichteten sie gemeinsam Dienst an der deutsch-tschechischen Grenze: Eberhard Pilz, damals Erster Polizeihauptkommissar, und Klaus Deml, Leiter des Kriminal- und Schutzsachgebiets bei der Grenzpolizeiinspektion. Beide wohnen noch in Furth im Wald. Pilz, der Landespolizeipräsident in Sachsen, als Wochenend-Pendler, Deml als Ruheständler. 1992 wurde er als 45-Jähriger in Pension geschickt, sein Kollege, ebenfalls Further Kriminalbeamter, mit 35. Beide leiden bis heute unter den Anfeindungen, die ihre Beschuldigungen gegen Pilz ausgelöst hatten.
„Nestbeschmutzer" nennt man uns, sagt Deml, der aufhorchte, als er in sächsischen Zeitungen von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen seinen früheren Vorgesetzten erfuhr. Vieles kam ihm bekannt vor. In Sachsen geht es unter anderem um die missbräuchlich Nutzung von Dienstwagen oder um die Nutzung eines Mitarbeiters für private Zwecke. Andere Anfragen, die auf den parlamentarischen Klärungsweg gebracht worden sind, beschäftigen sich mit Alkoholproblemen. Weitaus schwerwiegender waren die Vorhaltungen, die der Kriminalhauptkommissar Deml bei der Staatsanwaltschaft Regensburg erstattet hatte. Da ging es um Steuer- und Zollvergehen, um Untreue, versuchte Strafvereitelung im Amt, Trunkenheit im Verkehr, um vorsätzlich begangene schwere Körperverletzung im Amt, Verdacht auf Rechtsbeugung oder Nötigung.
Mit den Gesetzen habe es sein Chef nicht so genau genommen, mutmaßte Deml schon im September 1988. Nach einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung" vom 9. März 1993 hatte er Pilz bei der Generalbundesanwaltschaft angezeigt. Ein gegen ihn wegen des Verdachts der nachrichtlichen Verbindung zur damaligen Tschechoslowakei eingeleitetes „Vorprüfungsverfahren" sei aber ergebnislos verlaufen.
Auch eine Strafanzeige, die Deml gegen Pilz im Februar 1989 unter anderem wegen Zoll- und Steuervergehen erstattet hatte, wurde von der Regensburger Staatsanwaltschaft eingestellt. Für den Kriminalhauptkommissar i. R. sind die Gründe einleuchtend: Weil nicht alle notwendigen und möglichen Ermittlungen durchgeführt worden sind." Er spricht von einem Geflecht aus beruflichen Abhängigkeiten, Freundschaftsdiensten und parteipolitischen Verbindungen, die Pilz bestens geschützt hätten.
Erklärt wird das laut „Süddeutscher" durch die Mitgliedschaft in der CSU und Ämter im „Arbeitskreis Polizei". Und „geschadet" habe es nicht, dass er der Schwager des millionenschweren Kötzinger Unternehmers Anton Staudinger ist, in dessen „Poseidon-Thermen" auf Ischia schon der damalige Ministerpräsident Max Streibl und der damalige CSU-Generalsekretär Gerold Tandler zu Gast waren.
In einem Brief an Franz-Josef Strauß habe sich Tandler im Oktober 1987 für das „langjährig aktive CSU-Mitglied" Pilz stark gemacht, um ihn im Rahmen einer Neuordnung der Grenzschutzinspektion vor dem Verlust der Chefrolle zu bewahren.
Die „Süddeutsche" schrieb damals: „Obwohl sich Strauß der Sache annahm, konnte Tandlers Freundschaftsdienst nicht die bayerische Besoldungsordnung außer Kraft setzen. Für den höher dotierten Posten fehlte dem Staudinger Schwager ganz einfach die nötige Ausbildung. Dafür hatte sich bei der Grenzpolizei offenbar herumgesprochen, dass Pilz bei den höchsten politischen Stellen besondere Gunst genieße. Unter den Grenzpolizisten wurde zum geflügelten Wort, „dass der Pilz unsterblich ist ..."
Der Kriminalbeamte Deml, der das nicht glauben wollte, kam zu anderen Erkenntnissen. Auf die Versetzung folgte der zwingende Verdacht, dass Kollegen gegen ihn selbst ermittelten. Mit einer Eingabe wandte er sich an den Landtag und scheiterte auch hier, weil das Innenministerium versicherte, Deml habe zu keiner Zeit unter polizeilichen Überwachungsmaßnahmen gestanden. Gegen seinen Kollegen, der zu ihm hielt, wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, weil er versucht haben sollte, einen anderen Polizisten dafür zu gewinnen, Pilz bei einer Alkoholfahrt zu erwischen. Das Verfahren blieb ergebnislos, doch der Beamte zerbrach an den psychischen Belastungen. Mit 35 (!) Jahren wurde er in Pension geschickt.
Eberhard Pilz dagegen machte Karriere. Was er in Bayern nicht schaffte, gelang ihm in Sachsen. „Weggelobt" hätten ihn die früheren Förderer, meint Deml. Pilz sei trotz politischer Unterstützung nicht mehr haltbar gewesen, dem sächsischen Freistaat sei ein „faules Ei" untergeschoben worden, meint der Ex-Kollege auch unter Hinweis auf möglicherweise fehlende verfassungsschutzerkenntliche Hinweise aus Bayern.
Auch in Sachsen fühlen sich Polizeibeamte vom Machtapparat des Landespolizeipräsidenten Pilz verfolgt. Mark Hirschmann, der Mitarbeiter der Landespolizeischule in Bautzen vertritt, spricht von einem „System Pilz", das vor Zwangsversetzungen, Verleumdung und gezielten Indiskretionen nicht zurückschrecke und auch gesundheitliche Folgen von Familienangehörigen in Kauf nehme. Die Ablösung von Pilz verlangt längst die politische Opposition im Landtag.
(von Hubert Kemper)