Karl Nolle, MdL

Junge Welt, 13.12.2000

Alternative: Dick oder Doof

In Dresden begann der Vorwahlkampf. SPD-Kandidat präsentiert sich fit
 
BERLIN/DRESDEN. Wo er auftaucht, ist Stimmung angesagt. Wenn der Abgeordnete Karl Nolle im Landtag kurz und schmerzhaft der Staatsregierung und der ihr angeschlossenen CDU-Fraktion Bescheid gibt, ist das Aufheulen vorprogrammiert. Und die große Oppositionsfraktion der PDS bekommt einen fragenden Gesichtsaudruck: Darf man das? Im Hohen Haus? SPDler Nolle darf, zumindest tut er es einfach. Seit der Druckereibesitzer als wirtschaftspolitischer Sprecher im Landtag agiert, sind seine Auftritte gefürchtet und oft umstritten. Wobei er nie in Pöbelei verfällt. Dank Wortgewalt, Mimik, Gestik und Körpereinsatz kann man mehr von einem „Gesamtkunstwerk“ sprechen. So fragte er während einer Debatte eine PDS-Abgeordnete, die die CDU-Fraktion lobte, da diese im Nachtrab Haushaltkürzungen zulasten der Kinder abgemildert hatte, ob die Abgeordnete es denn angemessen fände, sich beim Brandstifter für die Löscharbeiten zu bedanken.
Richtig wohl aber fühlt er sich, seit er zum Dresdner OB-Kandidaten seiner Partei für die Wahl im nächsten Jahr vornominiert wurde. Ursprünglich sollte es einen gemeinsamen Kandidaten von Grünen, SPD und PDS geben, der gegen den von der bürgerlich-reaktionären Mehrheit getragenen Herbert Wagner (CDU) antritt. Doch nachdem die PDS den damaligen Kulturbürgermeister ins Gespräch gebracht hatte, was die anderen Partein und der Betroffenen erst aus der Zeitung erfuhren, ist die Zusammenarbeit schwieriger geworden.
Vor einigen Wochen hoben die demokratischen Sozialisten gar den letzten SED-Bürgermeister Wolfgang Berghofer auf das Schild. Er, der sich in Anlehnung an den KPdSU-Generalsekretär gern Bergatschow nennen ließ, aber eher an Günter Schabowski denken läßt, hat bereits angekündigt, daß er bezüglich einer Kandidatur Überlegungen anstelle. Für seine ehemaligen Genossen will er jedoch nicht zur Verfügung stehen. Immerhin sieht er den Job als nationale Aufgabe, so Berghofer im Focus. Wirtschaftspolitisch werde es mit ihm keine Experimente geben, was bedeuten könnte, daß auch die mehr politisch, denn fiskalisch begründeten Streichungen im Jugend- und Kulturbereich fortgesetzt werden. Das läßt nichts Gutes ahnen.
Daß das Engagement für Berghofer ausgerechnet vom bodenständigen Führungspersonal der Dresdner PDS ausgeht, dürfte an der politischen Kompatibilität mit dem Mann liegen. So hatte Berghofer an einer Podiumsdiskussion des einschlägig bekannten Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung zum „Schwarzbuch des Kommunismus“ teilgenommen und anschließend verlautbart: „Die Welt braucht das Buch, denn da wird eine furchtbare Wahrheit offengelegt... Man kann den Nationalsozialismus und den Kommunismus nicht pauschal miteinander gleichsetzen. Menschlich gesehen aber ist das Ergebnis beider totalitärer Systeme verheerend und furchtbar.“
Nach der deutlichen Abfuhr durch Berghofer haben führende PDSler um Christine Ostrowski verlauten lassen, wenn es als Partei nicht ginge, würden sie durchaus eine Bürgerinitiative für ihren Wunschkandidaten gründen. Notfalls aber werde Ostrowski auch zum dritten Mal gegen den Amtsinhaber in den Ring steigen. Für die Idee einer Berghofer-BI kam Unterstützung von unerwarteter Seite, vom ehemaligen Bundesbildungsminister und heutigen FDP-Ortsvorsitzenden Rainer Ortleb. Zornig reagierte darauf dessen Landesvorstand, der mit Parteiausschluß droht.
Karl Nolle ficht das alles nicht an. Weder für Ostrowski noch für Berghofer („Leute von gestern“) werde er eine Kandidatur aufgeben. Er zitiert genüßlich eine von der PDS in Auftrag gegebene Umfrage, nach der er selbst – nach einem Jahr im Landtag – immerhin 55 Prozent der Dresdner bekannt sei, während Ostrowski nach zehnjähriger Politiklaufbahn nur auf 85 Prozent käme. Und auf Unterstützung, so ist hinter vorgehaltener Hand zu erfahren, könnte Nolle auch aus der PDS rechnen. Der Abgeordnete verkörpert nämlich den sympathischen Typus eines oft verächtlich „alter Sozialdemokrat“ genannten Politikers. Sponsoring, so finanzielle und gestalterische Unterstützung für die stets klamme Kulturszene, sind ein gutes Aushängeschild für seine Firma. Daß er als einer der wenigen auf Einhaltung der Tarifverträge dringt und seine Angestellten mit einem Viertel am Maschinenpark beteiligt sind – er nennt das „Mitarbeiterbeteiligung, Partizipation an den gesellschaftlichen Werten“ -, bringt weitere Pluspunkte. Seine Azubis werden übrigens untertariflich entlohnt. Nolle: Damit habe er zwei neue Ausbildungsplätze geschaffen.
Doch auch ein Karl Nolle ist wie jeder Sozialdemokrat im Kapitalismus bestenfalls ein Realpolitiker, wenden linke Kritiker ein. So sei er 1998 wieder in die SPD eingetreten, nachdem er 1986 mit 150 anderen Sozis wegen einer Zweitstimmenkampagne für die Grünen ausgeschlossen war.
Trotz der berechtigten Einwände ist Nolle, so sich seine Partei im Januar für ihn entscheidet, der derzeit einzige für Linke akzeptable Kandidat, zumal selbst seine Kritik an der DDR eine sympathische Note hat: „Die DDR ist nicht an zuviel, sondern an zuwenig Sozialismus zugrunde gegangen.“
Und so bleibt es eine Wahl, die der 100-Kilo-Mann Nolle in bezug auf sich und den jetzigen Bürgermeister so beschreibt: „Am 10. Juli gibt es nur eine Alternative: Dick oder Doof.“
(Anselm Kröger, Dresden)