Karl Nolle, MdL
WELT, 23.03.2004
SachsenLB ließ missliebige Mitarbeiter bespitzeln
Detektiv sollte auch Personalrätin ausspähen - Sachsens SPD-Chef Jurk fühlt sich an DDR erinnert - Verdi: Offenkundige Rechtsverstöße
Leipzig - Die Führungsspitze der SachsenLB gerät durch das Bekanntwerden neuerlicher Bespitzelungsaktionen unter erheblichen Rechtfertigungsdruck. Nach der WELT vorliegenden Dokumenten hat die Landesbank missliebige Mitarbeiter von einem Detektiv beschatten lassen. Der externe Ermittler, der auch vertrauliche Personalbögen übermittelt bekam, wurde 2002 sogar mit der Ausspähung eines Mitglieds des damaligen Personalrates beauftragt.
"Das ist ein weiterer Skandal, wie sie in dieser Bank an der Tagesordnung zu sein scheinen", sagte Sachsens Verdi-Chef Wolfgang Anschütz auf Anfrage. Da es sich offenkundig um einen klaren Verstoß gegen das Personalvertretungsrecht und gültiges Arbeitsrecht handele, müssten personelle Konsequenzen in der operativen Leitung der Bank geprüft werden.
"Der Vorgang macht mich sprachlos und erinnert mich an DDR-Verhältnisse", erklärte Thomas Jurk, SPD-Fraktionschef im Dresdner Landtag: "Die sächsische Landesbank wird zur Schnüffelbank." Vorstandschef des Instituts ist Michael Weiss, dem Verwaltungsrat steht Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU) vor.
Erst im Februar war öffentlich geworden, dass Bank-Vorstand Rainer Fuchs im Oktober 2002 die Sicherheitsfirma Artemis von Uwe-Jens Wittig eingeschaltet hatte, um fünf ehemalige Mitarbeiter überwachen zu lassen - darunter pikanter Weise ein früherer Vorstand, der als Chef zur Tochter einer anderen Landesbank gewechselt war. Angeblich ging es um Anhaltspunkte für "betrügerisches Verhalten" bei einer Kreditvergabe, doch belastbares Material brachte die Aktion nicht.
Der Auslöser für die nun ans Tageslicht gekommene Ausforschung der Personalrätin Petra Franzen (alle Namen von Betroffenen sind verschlüsselt, aber der Redaktion bekannt) ist weit profanerer Natur - ein Zahnarzt hatte die Angestellte "auf Grund einer akuten Wurzelbehandlung" krankgeschrieben. Dieser Befund wurde Detektiv Wittig, der einst im DDR-Innenministerium tätig war, von der Bank am 27. Dezember 2002 mitgeteilt. Das Fax enthält den Warnhinweis "(!) Personalrats-/Betriebsratsmitglied". Personalchef Marc Bollinger, der später für die Ermittlungen eine Rechnung über 3309,48 Euro erhielt, vermutete offenbar die Umgehung einer Urlaubssperre. "Dieses Vorgehen ist völlig überzogen", empört sich Verdi-Mann Anschütz, außerdem hätte der Personalrat informiert werden und zustimmen müssen.
Der Vorgang wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie das Leipziger Haus mit missliebigen Angestellten verfährt. Bollinger-Vorgängerin Andrea Braun - die Lebenspartnerin von Bankenchef Weiss leitet heute die SachsenLB-Leasingtochter MDL - hatte ebenfalls die Detektiv-Firma eingeschaltet. Aber auch intern setzte sie ausweislich einer eidesstattlichen Versicherung auf Spitzelmethoden. Eine frühere Mitarbeiterin bestätigt, von Frau Braun aufgefordert worden zu sein, schriftliche Berichte über einen Kollegen anzufertigen. Ich habe "jegliche Äußerungen und Handlungen meines direkten Vorgesetzten" festhalten sollen, so steht es in der Erklärung, dieses Ansinnen aber "strikt abgelehnt". Später erfuhr die Mitarbeiterin, dass Frau Braun versucht hatte, eine Kollegin auf sie anzusetzen.
"Wir erhalten ähnlich gelagerte Hinweise und stellen fest, dass Mitarbeiter eingeschüchtert werden", sagte SPD-Chef Jurk. Bekannt ist, dass die Bank umfänglich die Arbeitsgerichte beschäftigt. Zahl der Verfahren und Höhe der Abfindungen "kommunizieren wir nicht", sagte ein Sprecher. Immerhin räumt die SachsenLB ohne Nennung von Namen ein, dass die Sicherheitsfirma Artemis neben einem 2003 beendeten Vertrag mit der MDL vier weitere Mandate erhalten hat. Auf die Frage, ob dabei gegen geltende Vorschriften oder Gesetze verstoßen wurde, wird nicht konkret geantwortet.
Zu insgesamt acht Fällen, die auch ausgeschiedene Mitarbeiter betreffen, liegt der WELT umfangreiches Material vor. Danach sollte Wittig beispielsweise die Mitarbeiterin Andrea Justus aus dem Meldewesen ins Visier nehmen, wozu er auch vertrauliche familiäre Angaben erhielt. Der Artemis-Mann sagte zum Auftrag: "Mir wurde lediglich mitgeteilt, dass die Informationen später einmal relevant werden könnten." Bizarrer noch mutet eine andere Bespitzelung an. Den Bereichsleiter Xaver Ungesell - der frühere Bankdirektor hatte für die SachsenLB den Aufbau eines "Bankhauses Sachsen" für vermögende Kunden vorbereitet, das nie realisiert wurde - wollten die Leipziger unmittelbar nach Einstellung loswerden. Da Ungesell zuvor eine unkündbare Leitungsposition aufgeben hatte, bestand er auf Erfüllung seines Arbeitsvertrags. Wiederum kam der Detektiv zum Einsatz - wobei er allerdings von der Polizei gestellt und der Vorgang damit aktenkundig wurde. Von der Führungskraft mit einem Jahresgehalt von rund 200.000 Euro trennte man sich mittels eines teuren Vergleichs.
Womöglich hat die Detektiv-Affäre bald ein juristisches Nachspiel. Bank-Vorstand Fuchs hatte bei der von ihm veranlassten Überwachung den als Abhörspezialisten geltenden Wittig mit zahlreichen Kommunikationsdaten (Telefon, Handy- und Faxnummern) des Ex-Vorstands und dessen Mitarbeitern versorgt. Über die eingeleiteten Maßnahmen war Vorstandschef Weiss laut SachsenLB "grundsätzlich informiert". Nachdem die WELT darüber berichtete, leitete Fuchs presserechtliche Schritte ein und gab in einer eidesstattlichen Versicherung zu Protokoll: "Ich betone nachdrücklich, dass ich keinen Auftrag erteilt habe, Telefonate abzuhören."
Ebenfalls in einer eidesstattlichen Versicherung stellt Wittig nun fest: "Auf Grund der detaillierten Telefonnummernliste ging ich davon aus, dass Herr Fuchs auch eine umfangreiche Abhöraktion dieser Anschlüsse wünschte, um in seinem Verdacht bestätigt zu werden." Weiter schreibt der Detektiv in der Versicherung, er habe "alle mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen" sollen.
Fuchs wiederum hat ferner versichert, dass er keine Bedenken bei der Weitergabe der Daten hatte, "da diese Telefonnummern öffentlich zugänglich waren." Genau das bestreitet einer der Betroffenen und teilt mit, dass "weder die Nummer meines privaten Faxes noch die Nummer meines Mobiltelefons öffentlich zugänglich sind." Beide Verbindungen, die nicht über eine übliche Auskunft zu erfragen sind, hatte Fuchs übermittelt.
Sachsens Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig spricht von "einem höchst bedenklichen Vorgang". Geprüft werden müsse, "ob eine Aufforderung zur Verletzung des Fernmeldegeheimnisses vorliegt." Schurig verweist nicht nur auf Artikel 2, Paragraph 31 des damaligen Datenschutzgesetzes, das augenscheinlich verletzt wurde. Vielmehr betont er zudem: "Auch die Aufforderung zu einer Straftat ist eine Straftat." Während das Regierungspräsidium Leipzig den datenschutzrechtlichen Aspekt untersucht, will die dortige Staatsanwaltschaft kein offizielles Ermittlungsverfahren einleiten, obwohl eine Strafanzeige vorliegt. Deshalb unterstellen die Opfer der Ausspähung den Ermittlern Befangenheit, zumal der Ministerpräsident und der Justizminister einst an der Spitze des Bankenverwaltungsrats standen. Sie erwägen nun, auf eigene Initiative rechtliche Schritte gegen Fuchs und die SachsenLB einzuleiten - allerdings bei einer Staatsanwaltschaft außerhalb Sachsens.
(von Uwe Müller)