Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, Seite 4, 30.03.2004

"Entscheidung nach Gutsherrenart"

Indiskretion bringt Milbradt in Erklärungsnot - Teure Anschubfinanzierung aus Staatskasse für MDR-Moderatorin
 
Dresden. In der Hochwasser-Katastrophe hatte er sich zum Prügelknaben degradieren lassen. Die Show als Krisenmanager stahl ihm der Ministerpräsident. Auch als ihm der lukrative 6o.ooo-Euro-Vertrag für die MDR-Moderatorin Birgit von Derschau Rücktrittsforderungen einbrachte, hielt Innenminister Horst Rasch öffentlich still. Doch unmittelbar hinter ihm lancierten bereits Mitarbeiter, dass der Auftrag für Birgit von Derschau „von ganz oben" durchgestellt worden sei. Jetzt liegen die Belege schriftlich vor, und die sächsische Regierung ist gleich in doppelter Hinsicht angezählt: Ministerpräsident Georg Milbradt, weil er sich gegen den Verdacht der politischen Vetternwirtschaft wehren muss, und Innenminister Rasch, weil ihn sein chaotisch geführtes Haus entlasten will, indem es Milbradt belastet.

In ihrem Brief vom 26. Juni 2002 an Milbradt kommt von Derschau schnell zum Thema. Beim Sommerfest der CDU auf Schloß Wackerbarth habe sie ihm von einem Projekt einer Kinderfernsehreihe mit kriminalpräventiven Anliegen berichtet. Entscheidenden Stellenwert widmet die freie Produzentin der Finanzierungsfrage. Fernsehsender würden eine Vorleistung der öffentlichen Hand erwarten, berichtete von Derschau von Gesprächen mit dem Programmgeschäftsführer des Kinderkanals. Trotz ihrer engen Kontakte als Beraterin für das Innenministerium zeigte sie sich mit dem Fortgang der Finanzierung unzufrieden. Am 3. Juni 2002 habe ihr Rasch in einem Gespräch sogar mitteilen müssen, dass das Ministerium keine Mittel zur Verfügung stellen wolle.

Die Wende leitete von Derschau offensichtlich mit dem Hinweis auf die Ereignisse vom 26. April 2002 in Erfurt ein. Erlauben Sie, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Ereignisse nochmals zu prüfen, inwieweit der Freistaat Sachsen eine Anschubfinanzierung für die erste konzeptionelle Phase des Vorhabens leisten kann." Mit „bitte positive Antwort" gab Milbradt grünes Licht. Von Derschau erhielt 6o.ooo Euro, um die Konzeption einer Sendereihe zu erstellen, für die es bisher weder Filmmaterial noch Sendezeiten gibt.

„Die Entscheidung des Ministerpräsidenten erfolgte nach Gutsherrenart, für adelige Freunde, offensichtlich ohne sachliche Prüfung", reagierte gestern Opposition-Frontmann Karl Nolle (SPD) heftig. Die Höhe der Subvention für von Derschau entspreche dem Jahresgehalt eines Spitzenbeamten. Dabei handele es sich nicht um ein fertiges Konzept, sondern um eine Anschubfinanzierung in der konzeptionellen Phase eines Vorhabens.

In Fragen an die Staatsregierung verlangt die SPD-Fraktion darüber Auskunft, welche Art staatlicher Einflussnahmen auf die redaktionelle Programmgestaltung mit der Rundfunkfreiheit vereinbar sind. ,Unannehmbar" sei die Aussage, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender eine Vorleistung der öffentlichen Hand erwarten, was ja auch dem Begehren von Derschaus und der Auffassung Milbradts entspricht", rüffelt Nolle die ohne Ausschreibung erfolgte Auftragsvergabe.

„Verführerisch mag es sein, mit ein paar bunten Filmen den eigenen Beitrag zur inneren Sicherheit feiern zu lassen und davon abzulenken, dass die völlig handlungsunfähige Spitze von Innenministerium und Polizei das derzeit größte Sicherheitsrisiko in Sachsen darstellt", kommentiert die PDS den Fall. Die Skandalproduktion des Kabinetts Milbradt könne man unter dem Titel “Rette sich wer kann" gleich mit verfilmen.

Die Indiskretion aus dem Innenministerium hat offenbar in der Staatskanzlei die längst spürbare Nervosität verstärkt. Die Beantwortung von Fragen, die das ungewöhnliche Honorar für von Derschau, deren Rolle in der CDU oder die fehlende Ausschreibung betrafen, klammert ein allgemein gehaltenes Statement von Regierungssprecher Christian Striefler aus. Der Ministerpräsident habe die Bemühungen um präventiven Schutz von Kindern vor Verbrechen unterstützt. "Bei der Entwicklung des Konzepts spielte es keine Rolle, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder das private Fernsehen am Ende Abnehmer dieses Konzepts sein sollten." Ob es jemals einen Abnehmer geben wird, steht in den Sternen.
(von Hubert Kemper)