Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, Seite 4, 30.03.2004

Pilz und Filz - nicht nur bei der Polizei eskalieren Grabenkriege

 
Dresden. Wer auf die Politik im Freistaat schaut, kommt seit Wochen aus dem Staunen nicht heraus. Mit Ausnahme kurzer Phasen der Erholung eskaliert die Lage auf breiter Linie. Ob in Leipzig oder Dresden, ob Landesbank oder Polizei-Affäre - stets gibt es Grabenkämpfe, wird das gesamte Arsenal bemüht. Hochrangige Beamte schwärzen sich gegenseitig an, Banker ziehen vor Gericht. Es gibt Strafanzeigen im Dutzend, gespickt mit Filz- und anderen Vorwürfen. Zwei Jahre nach dem Abgang von Regierungschef Kurt Biedenkopf (CDU) wird der Freistaat von einer Skandalserie geschüttelt - Sex and Crime an der Elbe.

Am heftigsten geht es ausgerechnet im hoch sensiblen Polizeibereich zur Sache. Seit Wochen tobt eine absurde Fehde zwischen Polizeipräsident Eberhard Pilz und hohen Beamten aus Bautzen sowie Dresden. Es hagelt anonyme Papiere, Vorwürfe von Alkohol bis Patronage. "Katastrophal" nennt SPD-Fraktionschef Thomas Jurk das bizarre Stechen, "hilflos" sei Innenminister Horst Rasch (CDU), sagt Peter Porsch (PDS) - und das in Terrorzeiten.

Doch Pilz und Rasch sind nicht allein. In abgeschwächter Form gehört der gepflegte Grabenkrieg ebenso zum Umgangston in der Landesbank. Und auch sonst machen in Leipzig unappetitliche Schriftstücke von Insidern die Runde, anonym, natürlich. Dabei geht es nicht zuletzt um Kämmerer Peter Kaminski (CDU) und dessen zweifelhafte Vermischung von Wahlkampf- und Sponsorengeld.

Das war nicht immer so. Lange Zeit galt der Freistaat als Musterländle im Osten. Während in Thüringen und Sachsen-Anhalt nach der Wende Ministerpräsidenten und ganze Kabinette über Affären und Affärchen stolperten, herrschte weitgehend Ruhe unter Biedenkopf - wenn auch nur an der Oberfläche. Denn als die Paunsdorf-Affäre 2001 über "König Kurt" hereinbrach, waren die Vorwürfe Jahre alt. Zum Problem wurden sie erst im CDU-internen Machtkampf mit Nachfolger Georg Milbradt.

Der hat jetzt mit den Folgen zu kämpfen. Nur mühsam kann Milbradt den Deckel über seinem Übergangskabinett halten, muss wie im Crashkurs nachholen, was sein Vorgänger mit Landesvaterimage deckelte und überstrahlte. "Es brennt an vielen Stellen", sagt ein ehemaliges Kabinettsmitglied und meint auch Ex-Olympia-Staatssekretär Wolfram Köhler (CDU). Der musste 2003 gehen, weil seine Frau in Riesa satte Provisionen kassiert hat - unter ihrem Mann als OB. Hinzu kommen Kleinaffären um CDU-Landräte wie Michael Czupalla (Delitzsch) und Udo Hertwich (Stollberg). Im einen Fall ging es um Müll und Wahlkampfhilfe, im anderen um die Vergabe öffentlicher Aufträge an den eigenen Sohn.

Doch unwürdiges Polit-Geschacher ist nicht nur ein Problem der CDU. Auch die SPD hat ihren Ronald Lässig. Der MDR-Nachrichtensprecher und SPD-Direktkandidat war in die Kritik geraten, weil von seinem Dienst-Computer gefälschte Meldungen einer Nachrichtenagentur heraus gegangen waren, die Jurk SPD-intern anschwärzen sollten. Hinzu kommen die Leipziger Querelen, wo sich die Sozialdemokraten schon die eine oder andere blutige Nase geholt haben - wegen der Aktenvernichtung des ehemaligen Olympia-Beauftragten und SPD-Beigeordneten Burghard Jung zum Beispiel.

Nicht zuletzt Olympia ist ein Grund für die Affärendynamik. "Mit der Bewerbung rückt Leipzig in den Mittelpunkt des Interesses", meint der CDU-Abgeordnete Robert Clemen, "das weckt Neid und Neider". Auf einmal schaue die Republik aufs Leipziger Modell, wo sich viele gut verstehen und mit einander Geld verdienen. Zusammen mit dem Wahlkampf sorgt das für aufgeheizte Stimmung. Das akute Problem aber hat Milbradt, dem die Polizei-Affäre den Wahlkampf zu verhageln droht. Denn gegen Korruption ermittelt "Ines", eine Sondereinheit gegen Sex and Crime gibt es in Sachsen noch nicht.
(von Jürgen Kochinke)