Karl Nolle, MdL
Dresdner Morgenpost, 02.04.2004
Volkssport Abkassieren
Kommentar von Stefan Locke
Bei unseren EU-Abgeordneten gibt es offenbar einen bisher unentdeckten, aber durchaus lohnenden Volkssport: Zur Tagegeldliste joggen, unterschreiben und dann abreisen. Macht 262 Europlus je Unterschrift auf dem Konto. Ein Skandal!
Die Abzocke hat Methode und ist - leider - auch noch rechtlich einwandfrei. Wer anwesend ist, kriegt die Kohle, zusätzlich zu Grunddiät, Aufwandspauschale und Reisekosten. So hat es die EU fürsorglich geregelt.
Da können wir auf unsere EU Schwerverdiener neidisch sein, wie wir wollen. Sie nehmen sich nur das, was ihnen gesetzlich zusteht. Und mal ehrlich: Wer würde ernsthaft freiwillig verzichten, wenn einem der Chef 262 Euro für die bloße Anwesenheit am Arbeitsplatz zusätzlich zum Grundgehalt anbietet?
Der Fehler liegt also im System. Warum zahlt die EU nicht allen Abgeordneten ein einheitliches Gehalt und eine einheitliche Pauschale für den Aufwand? Das wäre gerecht und für jeden nachvollziehbar. Nur leider scheitern solche Reformversuche regelmäßig. Genau wie im Bundestag und den deutschen Länderparlamenten, wo ähnliche Regeln gelten.
Bisher ließen sich noch nicht einmal kleinste Reformen wie eine tatsächliche Reisekostenabrechnung durchsetzen. Nach wie vor kann jeder Abgeordnete bei der EU Business Class-Tickets abrechnen, auch wenn er nur Holzklasse geflogen ist.
Der Verdacht liegt deshalb nahe: Die meisten Abgeordneten wollen gar keine Veränderung. Weil sie mit undurchsichtigen Regeln und für Außenstehende komplizierten Abrechnungen locker ein Dritt- und Viertgehalt rausholen können. Das ist der tatsächliche Skandal.