Karl Nolle, MdL

WELT, 05.05.2004

EU-Fördergeld-Skandal in Sachsen

Razzia im Wirtschaftsministerium - Millionenbetrug vermutet - 16 Verdächtige
 
Dresden - Ein halbes Jahr vor der Landtagswahl wird der Freistaat Sachsen von einem millionenschweren Betrugsskandal erschüttert. Rund 21 Millionen Euro sollen zwischen 1999 und 2001 unrechtmäßig an Qualifizierungsgesellschaften im Umfeld der Dresdner Chipindustrie geflossen sein. Am Dienstag wurden auch Räume des Wirtschaftsministeriums durchsucht.

Die Anti-Korruptionseinheit "Ines" der Dresdner Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamtes nahmen zwei Verdächtige fest, bestätigte der Leitende Oberstaatsanwalt Claus Bogner der WELT. Es handele sich dabei um einen ehemaligen Ministeriumsmitarbeiter und einen früheren Geschäftsführer. Insgesamt werde gegen 16 Beschuldigte ermittelt.

Laut Bogner waren den Entscheidungsträgern im Ministerium die Vorfälle bekannt. Dem Vernehmen soll auch ein ehemaliger Staatssekretär eingeweiht gewesen sein.

Rund 100 Polizisten und Staatsanwaltschaft durchsuchten insgesamt mehr als 30 Objekte - auch in Thüringen, Bayern, Hessen, Hamburg und Baden-Württemberg. Der Vorwurf: Fördermittel aus dem Europäischen Sozialfonds sollen unrechtmäßig gewährt worden sein. Empfänger war unter anderem die Firma "Qualifizierung für Mikroelektronik und Fahrzeugtechnik" (QMF), die für den Fahrzeugteilebauer Sachsenring und das ehemals staatliche "Zentrum Mikroelektronik Dresden" (ZMD) tätig war. ZMD wurde Ende 1998 unter der Regie des damaligen Finanzministers und heutigen Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) für zwei Mark an Sachsenring verkauft wurde. Sachsenring übernahm damals fast 300 der ZMD-Mitarbeiter, etwa 170 Beschäftigte wurden bei QMF untergebracht.

QMF ist Anfang dieses Jahres in die Insolvenz gegangen. Rückforderungen des Freistaates dürften daher ergebnislos bleiben. Staatssekretärin Andrea Fischer (CDU) sagte, sie habe bereits kurz nach ihrem Amtsantritt im Sommer 2002 Hinweise auf die Unregelmäßigkeiten bekommen und die Innenrevision eingeschaltet. Im März 2004 habe sie Anzeige erstattet. Es bestehe zum einen der Verdacht, dass die Subventionen nicht hätten genehmigt werden dürfen. Zum anderen seien die Mittel nicht korrekt für Qualifizierungsmaßnahmen ausgegeben worden. Mehr als die Hälfte der geflossenen rund 21 Millionen Euro seien vermutlich falsch verwendet worden, so Fischer.

Die Dresdner SPD-Fraktion geht davon aus, dass es sich bei dem Fall nur um die Spitze eines Eisberges handele. Es sei zudem "unerträglich", dass zwischen dem konkreten Hinweis auf Fehlverhalten und Fördermittelmissbrauch 16 Monate habe verstreichen lassen. "Hätte das Ministerium zügig gehandelt, wäre ein Teil des finanzieller Schadens zu verhindern gewesen", sagte die Abgeordnete Simone Raatz.
(von Sven Heitkamp und Uwe Müller