Karl Nolle, MdL

junge Welt, 06.05.2004

Verdacht auf Veruntreuung

21 Millionen Euro Fördermittel für Privatkapitalbildung statt Arbeitslosenbildung in Sachsen?
 
Wegen »Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe von Fördermitteln« hat die Dresdner Staatsanwaltschaft am Dienstag Räume des sächsischen Wirtschaftsministeriums durchsucht. Die Affäre paßt wie die Faust aufs Auge zum Propagandafeldzug gegen den angeblich Fördermittel verschlingenden Osten. Und sie paßt möglicherweise zu einem Untersuchungsausschuß des Sächsischen Landtages, der Verbindungen zwischen dem sächsischen Wirtschaftsministerium und der Zwickauer Sachsenring AG im Wahlkampf 1999 erhellen will. Nach Erkenntnissen der Dresdner Staatsanwaltschaft sind damals im Wirtschaftsministerium 21 Millionen Euro Fördergelder veruntreut worden, die teils aus Landesmitteln, zu 65 Prozent aber aus dem Europäischen Sozialfonds kamen. Sie flossen der inzwischen insolventen Qualifizierungsgesellschaft QMF zu, die ehemalige Mitarbeiter von Sachsenring und deren späterer Tochter Zentrum für Mikroelektronik Dresden, ZMD, betreute.

Oberstaatsanwalt Claus Bogner hat Zweifel, ob das Geld von der Firma mit Sitz in Bad Hersfeld überhaupt für Qualifizierungsmaßnahmen eingesetzt worden ist. Die Fördermittel hätten nicht bewilligt werden dürfen, sagte Staatssekretärin Andrea Fischer. QMF hatte den größten Auftrag dieser Art in Sachsen ohne Ausschreibung erhalten. Das ist der Hintergrund der Durchsuchungen vom Dienstag. Zwei Personen, darunter ein ehemaliger Ministeriumsmitarbeiter, wurden vorläufig festgenommen.

Staatssekretärin Fischer räumte ein, daß Hinweise auf zweckentfremdeten Mitteleinsatz schon kurz nach dem Regierungswechsel im April 2002 auftauchten. Am Ende der Ära Biedenkopf war auch der damalige Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) abgelöst worden. Zunächst war damals die Innenrevision eingeschaltet worden. Das Hochwasser habe weitere Aufklärung verzögert, sagte Fischer.

Der Korruptionsverdacht richtet sich nun gegen insgesamt 16 Mitarbeiter des Hauses, darunter auch leitende. Weitere 80 ähnlich geförderte Qualifizierungsmaßnahmen werden derzeit ebenfalls untersucht. Anlaß für die SPD-Landtagsabgeordnete Simone Raatz, von einer »Spitze des Eisbergs« zu sprechen. Sie bezeichnete es als »unerträglich«, daß seit dem Anfangsverdacht Monate vergangen seien, ehe das Ministerium die Staatsanwaltschaft einschaltete. Bei schnellem Handeln wäre ein Teil des durch die Insolvenz der QMF verursachten finanziellen Schadens zu verhindern gewesen. Sachsen muß jetzt mit Rückforderungen seitens der EU rechnen.
(Michael Bartsch)