Karl Nolle, MdL
WELT, 06.05.2004
Subventionen in dunklen Kanälen
Machenschaften mit Fördermitteln waren in Sachsen seit langem bekannt
Dresden - Anfang der neunziger Jahre war das staatliche Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) der Grundstein für den späteren Erfolg des Computer-Eldorados an der Elbe. Der Nachfolger des ehemaligen Kombinats Mikroelektronik bildete das Fundament für den neuen Leuchtturm im Osten. Doch während der US-Chiphersteller AMD und Siemens-Ableger Infineon wuchsen und wuchsen, taumelte das ZMD von Krise zu Krise.
Ende 1998 verkauften schließlich der damalige Finanzminister und heutige Ministerpräsident Georg Milbradt und sein damaliger Wirtschaftskollege Kajo Schommer (beide CDU) den Chiphersteller an Sachsenring, den Nachfolger des alten Trabi-Werkes. Doch bei dem Deal gab es immense staatliche Hilfen. Von 1993 bis 2001, so rechnete EU-Kommissar Mario Monti vor, erhielt das ZMD aus öffentlichen Kassen insgesamt 175 Millionen Euro. Und nicht nur das.
Der am Dienstag aufgeflogene Betrugsskandal offenbart, dass mutmaßlich auf versteckten Wegen auch zweistellige Millionensummen an den Weiterbildungsbetrieb Qualifizierung Mikroelektronik Fahrzeugbau (QMD) flossen. Der eigens beim ZMD-Verkauf gegründete Betrieb erhielt vom Europäischen Sozialfonds und vom Freistaat rund 21 Millionen Euro Fördermittel. Weitere fünf Millionen waren schon bewilligt. Die Umschüler jedoch arbeiteten zu Hunderten weiter für ZMD oder Sachsenring. So konnten die Personalkosten gesenkt werden - mithin eine versteckte Beihilfe. In den Anträgen, so heißt es, wurden diese Umstände jedoch bewusst verschwiegen. Andernfalls hätten die Subventionen nicht fließen dürfen.
Merkwürdig in der Affäre ist auch die zeitliche Abfolge. Zwar erhielten Wirtschaftsminister Martin Gillo und die neue Staatssekretärin Andrea Fischer (beide CDU) bereits nach ihrem Amtsantritt Mitte 2002 von Mitarbeitern zumindest "nebulöse und unspezifische Hinweise" auf Mauscheleien. Doch stoppten sie erst im Frühjahr 2003 - nach konkreten Hinweisen in einem Bericht des Finanzministeriums - den Geldfluss an QMF und erstatteten erst im Januar 2004 Anzeige. Die Innenrevision und eine externe Prüfungsgesellschaft durchleuchteten derweil den Fall. Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer wurde allerdings erst im April dieses Jahres befragt. Begründet wird die zögerliche Prüfung auch mit der Arbeitsbelastung durch die Jahrhundertflut.
Die Opposition wirft der Regierung indes schwere Versäumnisse vor. "Hätte das Ministerium zügiger gehandelt, wäre ein Teil des finanziellen Schadens zu verhindern gewesen", sagt die SPD-Abgeordnete Simone Raatz. Auch Oberstaatsanwalt Claus Bogner nimmt an, mit dem späten Eintreffen der Anzeige müsse man sich "noch auseinander setzen", wenn auch "nicht vordergründig". Allgemein sei "ab einer bestimmten Schwere eines Delikts, das Amtsträgern bekannt wird, sicherlich von einer Strafanzeigenpflicht auszugehen". An sich zeige sich das Ministerium jedoch kooperativ.
Zurzeit gibt es 16 Beschuldigte. Die Haftbefehle gegen den damaligen QMF-Geschäftsführer Helmut Stachel aus Plauen und den heute 65 Jahre alte Ministerium-Abteilungsleiter, Hans Neufischer aus Stuttgart, wurden gestern vom Haftrichter bestätigt.
Neue Brisanz bekommt nun der Sachsenring-Untersuchungsausschuss des Landtages. Er geht bisher der Frage nach, ob bei der ZMD-Privatisierung auch Millionenbeträge für eine Werbekampagne zu Gunsten der CDU geflossen sind. PDS-Fraktionschef Peter Porsch fühlt sich hintergangen: "Während wir den Untersuchungsausschuss wegen vier Millionen Mark eingesetzt haben, ermittelt das Wirtschaftsministerium seit fast zwei Jahren in der gleichen Sache wegen 38 Millionen Mark." Die Staatsregierung habe ihre Informationspflicht jahrelang gröblichst verletzt.
Die Opposition will die QMF-Affäre jetzt auch im Untersuchungsausschuss auf die Tagesordnung setzen. Zudem dürfte die EU-Kommission wieder hellhörig werden. Milbradt hat damit vier Monate vor der Landtagswahl ein neues Problem am Hals.
(von Sven Heitkamp und Uwe Müller)