Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 29.06.2004

Personalwechsel: Ein neues Blatt für das Parteiarchiv

Nach fünf Jahren Anlauf zum Erfolg landet die glücklose Landesvorsitzende Constanze Krehl im Aus und Sachsens SPD steht noch auf dem absoluten Tiefpunkt von 1999
 
Die immer wieder gefürchtete Entscheidungsschlacht war plötzlich da und noch keine Stunde alt als sich Constanze Krehl bereits geschlagen an ihre Zigarette klammern musste.

Zug um Zug - den Blick durch all die Menschen um sie herum hindurch - saß die 47-Jährige am vergangenen Sonntag in der Cafeteria des Döbelner „Volkshauses" und begann zu ahnen, dass es so weit war.

Nebenan im Sitzungssaal, in dem sich die sächsische SPD gerade anschickte, mit der Wahl der Landtagskandidaten die personelle Zukunft der Partei neu auszurichten, bröckelte bei jeder Abstimmung ein Stück Rückhalt. Krehl - seit fast fünf Jahren Parteivorsitzende in Sachsen - hatte dabei ihre persönliche Watsche längst bekommen. Weniger als eine Hand voll Stimmen fehlten nur, dann wäre sie, die als Spitzenkandidatin antreten wollte, überhaupt nicht mehr auf die Landesliste der.eigenen Partei gekommen. Ein offener Misstrauensantrag hätte kaum schmerzhafter sein können.

Ersatzfrau erlag der Lethargie ihrer Genossen

Fast 45 Minuten brauchte die Noch-Chefin, bevor sie wieder ihren Platz im Podium der Delegiertenkonferenz einnahm. Sie war ab sofort eine Vorsitzende auf Abruf. Das wussten Freunde und Gegner im Saal, das wusste jetzt auch sie.

Die fünfjährige Ära der Constanze Krehl stand nie unter einem guten Stern. In der verheerenden Wahlnacht im September 1999, als Sachsens SPD mit nur 10,7 Prozent so wenig Stimmen einfuhr wie kein anderer Landesverband in der mehr als hundertjährigen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, war es Amtsvorgänger Karl-Heinz Kunckel, der Krehl auf die politische Bühne schob. Nur Minuten nach der ersten Hochrechnung verkündete er seinen Rücktritt und empfahl seine damalige Stellvertreterin als Nachfolgerin. Constanze Krehl war der Öffentlichkeit kaum bekannt, obwohl sie zu dem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren für die SPD im Brüsseler EU-Parlament saß.

Die Informatikerin, die bis zur Wende Hausfrau war und später in die Politik ging, stand damit ganz vorn in einer Partei, die einen bislang unbekannten Tiefpunkt erreicht hatte. Und Krehl war sich ihrer neuen Rolle durchaus bewusst. Sie müsse nun eben die „Kärrnerarbeit" machen, um irgendwann einmal vielleicht bessere Tage mit Sachsens Sozialdemokraten zu erleben.

Doch dazu sollte es nie kommen. Die Lethargie, mit der die geschockten 4 700 Mitglieder des Landesverbandes auf den eigenen Untergang und die - beim Wahlvolk bejubelte Allmacht der sächsischen CDU reagierten, legte sich später Stück für Stück auch auf die neue Vorsitzende. Ihren Ankündigungen folgten kaum Taten. Schließlich machte unter den resignierenden Genossen nur noch der geflügelte Satz die Runde: „Sie macht eigentlich nichts falsch. Sie macht gar nichts."

Fast schien es, als wäre das Kapitel Krehl damit tatsächlich nur ein ganz kurzes im Partei-Archiv. Doch das zähe Warten auf einen geeigneten Nachfolger, der vor allem ein Erlöser sein musste, hielt unverändert an. Die angesichts der dünnen Personaldecke ratlose Partei bestätigte deshalb die SPD-Chefin ohne Hingabe, aber regelmäßig im Amt.

Vergebliches Hoffen auf den Erlöser Tiefensee

Erst der plötzliche Machtkampf, den sich Sachsens Christdemokraten 2001 um den damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf so wie dessen späteren Nachfolger Georg Milbradt lieferten, ließ die Genossen wieder hoffen. Vor allem, weil inzwischen mit dem Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee jener, sehnlich herbeigewünschte Polit-Star in Sicht war. Tiefensee konnte sogar den Ruf des Bundeskanzlers überhören, der ihn als Minister nach Berlin holen wollte, ohne dafür öffentlich in Ungnade zu fallen, im Gegenteil.

Für so einen, das räumte die Landesvorsitzende intern ohne Zögern ein, trete sie gern die Führungsrolle ab - wenn Tiefensee diese Rolle nur wolle. „Ohne ihn geht nichts", verwies sie dabei auf anhaltend niedrige Umfragewerte ihre Partei. „Ich kann ihn aber nicht zwingen", barmte nicht zuletzt auch Krehl.

Doch der populäre Tiefensee erwies sich als Dauerzögerer beim Griff zur Macht. Seine über Jahre gestückelte Absage und die beginnenden politischen Affären in Leipzig drückten die Landes-SPD endgültig mit dem Rücken an die Wand.

In ihrer Not tat Krehl dann das, was ihr Kritiker inzwischen am meisten vorhalten: Die einstige Ersatzfrau machte plötzlich eigene Politik. Dabei überraschte sie selbst enge Weggefährten mit dem Anspruch, notfalls auch als SPD-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl 2004 anzutreten. Die Vorsitzende stellte damit erstmals wirklich die Machtfrage im Landesverband, den neben der Erfolglosigkeit vor allem die Ratlosigkeit über den künftigen Kurs einte.

Besonders Krehls öffentliches Bekenntnis, auf keinen Fall ein Bündnis mit der bei den Sozialdemokraten ungeliebten, aber stärkeren PDS eingehen zu wollen, spaltete die Partei immer mehr. Dort hatte mittlerweile eine Gruppe um den ambitionierten SPD-Fraktionschef Thomas Jurk längst vorsichtig Kurs auf eine rot-rote Annäherung genommen. Der Konflikt schwelte, die Heftigkeit der internen Auseinandersetzung mit Jurk und Co. - darunter der bissige „SPD-Chef-Aufklärer" Karl Nolle - nahm zu.

Und Krehl, die als Parteichefin in fünf Jahren fünf Pressesprecher verschliss, patzte dabei einmal mehr in der ungewohnten Tagespolitik. Ein Video mit Weihnachtsgrüßen an die verunsicherte Basis, das Krehl vorm Christbaum und andere Peinlichkeiten zeigte, wurde zur Lachnummer. Ein ehemaliger MDR-Redakteur, der Krehls Medienarbeit profilieren sollte, sorgte mit gefälschten Jurk-Texten für einen Skandal und verständnisloses Kopfschütteln.

Doch die SPD-Chefin hatte im eskalierenden Machtkampf auch Trümpfe in der Hand. Waren viele ihrer Entscheidungen schwach, blieb ihr immer noch eine starke Lobby in den Parteigremien. Neben dem Landesvorstand, der mehrheitlich hinter ihr stand, war das auch die starke Leipziger SPD - vom einflussreichen Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber im Hintergrund geschickt gelenkt. Das alles sorgte am Ende für ein Patt, während die Partei nach außen ein klägliches Bild abgab: Uneinig und orientierungslos.

Fauler Kompromiss sorgte für weichen Fall

Am Ende sollte ein fauler Kompromiss helfen: Jurk und Krehl kündigten an, als Spitzenduo in den Wahlkampf ziehen zu wollen. Die Machtfrage sollte später geklärt werden.

Aus später wurde früher: Krehl patzte weiter und Jurk nicht. So stellte sich die SPD-Chefin vor Tagen selbst an den Pranger, als ein Richter sie zwang, eine behinderte Sekretärin wieder einzu stellen. Die Partei hatte sie zuvor wegen strittiger 4,50 Euro bei der Fahrtkostenabrechnung gefeuert. Nicht vergessen - blieb auch, dass ausgerechnet die in Stuttgart geborene Krehl CDU-Chef Milbradt im Wahlkampf als „Nicht-Sachsen" angreifen wollte. Ein unabgestimmter Entwurf für die SPD-Landesliste, der Krehls Anhänger favorisierte, war dann in Döbeln der Tropfen, der das Fass überlaufen ließ. Ihr Dauer-Kritiker Nolle war sich zwar noch nicht sicher: „Eine Katze hat schließlich sieben Leben." Allerdings landet Constanze Krehl beim achten Mal wieder weich: Sie kann auf ihr vor zwei Wochen erkämpftes EU-Mandat ausweichen. Damit steht sie wieder dort, wo 1999 alles begann - ihre Partei auch.
(von Gunnar Saft)