Karl Nolle, MdL
Deutschlandfunk DLF, 08:20, 30.06.2004
Jurk: "Es geht darum, die sächsischen Interessen stärker deutlich zu machen."
Interview mit Thomas Jurk
Deutschlandfunk: Am 19. September wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Alle Welt rechnet damit, dass die Sozialdemokraten im östlichen Freistaat dann noch tiefer rutschen, als sie es bislang schon getan haben. In dieser Situation wechselt die SPD-Sachsen ihr Spitzenpersonal aus. Am Telefon ist jetzt der gerade gestern erst designierte Landesvorsitzende der Partei – Thomas Jurk. Er ist auch SPD-Fraktionsvorsitzender im Sächsischen Landtag.
Guten Morgen Herr Jurk.
Jurk: Guten Morgen.
Deutschlandfunk: Schon 1999 sollte die SPD in Sachsen aus dem Tal der Tränen geführt werden. Damals von der neuen Landesvorsitzenden Constanze Krehl. Gestern ist sie zurückgetreten. Wieso hat sie es nicht geschafft?
Jurk: Es gibt natürlich viele Ursachen. Constanze Krehl war und ist Europaabgeordnete, d.h. sehr weite Weg auch hin zur Partei. Sie hat ein riesiges Arbeitspensum zurückgelegt, aber sie war bei vielen ihrer Entscheidungen in letzter Zeit gerade nicht sehr glücklich. Und ich glaube, sie hat es auch nicht geschafft, die sächsische SPD-Komponente in Berlin deutlich zu machen.
Deutschlandfunk: Im Moment wählen doppelt so viele Sachsen die PDS wie die SPD. Wie wollen Sie denn das ändern?
Jurk: Man muss da genau die Zahlen betrachten. Bei der Europawahl hat beispielsweise die PDS im Land 24.000 Stimmen verloren. Das kann uns nicht beruhigen. Wir müssen einfach nüchtern in Betracht ziehen, dass die SPD sich fast halbiert hat. Unser Problem ist sicherlich, dass viele Menschen enttäuscht sind von den Wirkungen der aktuellen Politik und deshalb zu Hause bleiben und nicht SPD wählen. Da haben sich viele noch keine andere politische Heimat gesucht. Das sind Menschen, die für uns wieder aktivierbar sind.
Deutschlandfunk: Wie wollen Sie denn die sächsische Sozialdemokratie im Bund stärker verankern?
Jurk: Ich glaube, es geht darum, die sächsischen Interessen stärker deutlich zu machen. Wenn ich an Hartz IV denke, dann weiß ich, dass hier im Osten ein Großteil der künftigen Arbeitslosengeld II-Empfänger Arbeitslosenhilfeempfänger sind. Die haben ein wesentlich höheres Niveau an Unterstützung als die bisherigen Sozialhilfeempfänger, und da steckt ein Grundproblem. Wir haben trotz bester Vermittlungsbemühungen in Ostdeutschland die Arbeitsplätze zur Zeit nicht. Deshalb muss man den Bundeskanzler auch daran erinnern, was er in seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 gesagt hat. Nämlich, dass die besondere Situation auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt auch besondere Instrumentarien braucht.
Deutschlandfunk: Hartz IV ist also schlecht und sollte abgeschafft werden?
Jurk: Es ist nicht grundsätzlich schlecht. Der Grundgedanke, Leistungen aus einer Hand zu zahlen, ist völlig richtig. Aber wie gesagt, man muss da ganz genau fragen, wohin man z.B. Leute, die jetzt 47 Jahre alt sind, vermitteln will. Ich habe da viele Beispiele. Menschen kommen in mein Bürgerbüro und erzählen mir, wohin sie vermittelt wurden und dass sie keine Löhne bezahlt bekommen haben. Das macht sehr, sehr nachdenklich.
Deutschlandfunk: Was konkret fordern Sie denn von der Bundes-SPD mit Blick auf Hartz IV?
Jurk: Ich denke, dass es große Probleme bei der Umsetzung von Hartz IV geben wird. Ich könnte mir also durchaus vorstellen, dass man Hartz IV auch noch verschiebt, die Einführung also nicht zum 1.1. 2005 erfolgt, sondern erst, wenn die organisatorischen Grundlagen 100% sichergestellt sind. Und auf der anderen Seite muss man sich noch einmal Gedanken machen, wie man es schafft, Menschen zu helfen, die eben auch durch bestmögliche Vermittlung nicht in Arbeit kommen.
Deutschlandfunk: Schadet die Politik der Bundes-SPD der SPD in Sachsen?
Jurk: Einerseits steht die Bundesregierung vor schwierigen Reformvorhaben. Andererseits müssen wir anerkennen, dass viel geleistet wurde durch die Bundesregierung und da kann man das nicht verengen auf die Agenda 2010. Wenn ich an die Hilfe denke, die uns gewährt wurde bei Beseitigung der Flutschäden. Wenn ich daran denke, dass wir nach wie vor auf hohem Niveau nicht bloß Solidarpaktmittel erhalten, sondern auch Investitionsfördermittel. Da darf man nicht einfach einen einzelnen Baustein rausnehmen. Trotzdem ist es ganz einfach so, dass die Leute sehr stark am Bundestrend orientiert sind und demzufolge auch die Stimmung im Moment eher gegen Berlin ist.
Deutschlandfunk: Genau das ist die nächste Frage. Hat die SPD im Bund die ostdeutschen Länder im Stich gelassen? Heute legt Klaus von Dohnanyi seine Empfehlungen vor zum Aufbau Ost und er stellt der Bundesregierung ein verheerendes Zeugnis aus.
Jurk: Ich kann nur wiederholen, dass die Bundesregierung sehr viel für Sachsen getan hat. Aber die Situation auf dem Arbeitsmarkt, die Frage von Sozialreformen ist im Osten viel schwieriger, weil hier viel mehr Menschen arbeitslos sind, viel mehr Arbeitslosenhilfeempfänger sind und weil das Lohnniveau niedriger ist. In Folge dessen muss man sagen, dass dann natürlich Einschnitte hier im Osten sich viel stärker auswirken und demzufolge die Menschen das eher als existenzbedrohend empfinden.
Deutschlandfunk: Herr Jurk würden Sie in ihrem Bundesland in Sachsen mit der PDS kooperieren? Ganz aktiv?
Jurk: Also im Moment ist es so, dass wir uns über Koalitionen gar keine Gedanken zu machen brauchen. Wer von einem Level von 10,7% 1999 startet, der muss eher daran denken, dass er von da wegkommt und sich politisch stärker in Erscheinung bringen kann. Unser Kampfziel heißt, eine möglichst starke SPD zu sein. Da interessieren die Situationen anderer Gruppierungen überhaupt nicht. Ich habe ja gesagt, wenn sich die Zahl der Wähler halbiert hat zur Europawahl, dann müssen wir genau an diese Menschen wieder herankommen. Das wird uns nicht völlig gelingen, aber wir müssen glaubwürdig den Menschen deutlich machen, wofür SPD steht. Unser Markenzeichen muss auch in Zeiten gesellschaftlicher Veränderungen soziale Gerechtigkeit bleiben.
Deutschlandfunk: Herr Jurk, kurz zum Schluss: Was wäre am 19. September ein gutes Ergebnis für die SPD in Sachsen? Wenn sie zweistellig bliebe?
Jurk: Alles was über dem Ergebnis von 1999 liegen würde, denke ich wäre schon gut.
Deutschlandfunk: Thomas Jurk der designierte neue SPD-Vorsitzende in Sachsen war das im Deutschlandfunk. Danke Herr Jurk. (red.bearb.)