Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 06.07.2004
Am Boden
Sachsens SPD ist zerstritten, ideen- und profillos: Kurz vor der Landtagswahl sollen die Trümmer geräumt werden
Normalerweise ist es so im Leben: Wenn ein Fußballtrainer, Bischof, Politiker, eine Kindergartenleiterin oder ein Unternehmer aufhört, dann gibt es immer Leute, die das bedauern und dem Ausscheidenden danken für seine lange und aufopferungsvolle Arbeit. Man wünscht ihm alles Gute für die Zukunft, was entweder von Herzen kommt oder man sagt es, weil es sich so gehört, auch wenn der Verabschiedete in Wahrheit ein ungenießbarer Zeitgenosse war.
Womit wir mitten in der sächsischen SPD wären. Als Constanze Krehl vor einer Woche den Landesvorsitz hinwarf, reagierten viele als sei die Partei von einer langen schweren Krankheit genesen. Kein Bedauern, kein nettes Wort. Man feixte. Krehl war noch keine sechs Stunden aus dem Amt, da trat ihr kommissarischer Nachfolger Thomas Jurk freudestrahlend vor die Journalisten: "Was wollen wir noch über Frau Krehl reden, das ist längst Vergangenheit."
Miese Stimmung, mieser Umgang
Wer sich nicht auskennt in der sächsischen SPD, der wundert sich. Die Vorsitzende gescheitert und gerade weg, ein kurzer Tritt, ein paar hässliche Worte hinterher, weiter geht es. Aber so geht es zu in Deutschlands desolatestem SPD-Landesverband, seit Jahren: Miese Stimmung, miesere Wahlergebnisse, miesester Umgang miteinander. Im September sind Landtagswahlen. Sollte es so ausgehen wie 1990, 1994 und 1999, ginge es weiter bergab: 19,1 Prozent, 16,6 Prozent, 10, 7 Prozent - und am 19. September ab in die Einstelligkeit. Es spricht einiges dafür, dass es so kommt. Nicht nur der Bundestrend. Nicht nur der Ärger über das rot-grüne Reformwerk. Sachsens SPD hat kaum eine Gelegenheit ausgelassen, Wähler davon zu überzeugen, anderswo ihr Kreuzchen odr gar keins zu machen.
Die Partei ist schon lange auf den Hund gekommen: Gerade mal 4500 Mitglieder klein,in den Führungsetagen zerstritten. Auf der einen Seite die nur noch 14-köpfige Landtagsfraktion unter Thomas Jurk, einem etwas ungestümen Funkmechaniker aus Ostsachsen. Auf der anderen die Landespartei, bis vor kurzem dominiert von einem Häuflein Auswärtiger: Der Vorsitzenden Krehl, die in Sachsen immer wie eine landesunkundige Besucherin wirkte, wenn sie, die Europaabgeordnete aus Brüssel, heimkehrte. Dazu eine Handvoll grauer Herren aus Berlin: Der Bundestagsabgeordnete Gunter Weißgerber, ein gefürchteter Strippenzieher und Chef des größten SPD-Unterbezirks Leipzig, der Staatssekretär im Berliner Landwirtschaftsministerium Gerald Thalheim und des Kanzlers Staatsminister Rolf Schwanitz, der frühere Ost-Beauftragte, ein in Berlin blasser Mann, der in der maladen Sachsen-SPD einiges zu melden hat.
Was sie unterschied: Die einen waren in Dresden, die anderen in Berlin und Brüssel. Was sie einte: gegenseitige Verachtung und tiefstes Misstrauen. Sachsens SPD und ihr Führungspersonal - es waren immer die falschen Leute am falschen Ort zur falschen Zeit. Kurz war die Episode Anke Fuchs, die 1990 bei der ersten Landtagswahl gegen Kurt Biedenkopf antrat. Biedenkopf, der Professor in Leipzig war schon landesweit bekannt, Anke Fuchs, ein Hauruck-West-Import, machte keinen Hehl daraus,das sie dem Land im Fall einer Wahlniederlage sofort den Rücken kehren wollte. Damit begannen die politische Wiederauferstehung Kurt Biedenkopfs und die Malaise der SPD.
Lange Jahre dominierte Karl-Heinz Kunckel die SPD, ein braver Mann, geprägt vom Gedanken, königlich-sächsischer Oppositionsführer und irgendwie auch Teil der Regierung zu sein. Man verbot sich jeden Umgang mit der PDS, stets die Hoffnung im Herzen, die CDU könne die absolute Mehrheit einbüßen und ein paar SPD-Leute am Katzentischchen der Regierung Platz nehmen. Kunckel verlor die Wahlen 1994 und 1999. Dann trat er zurück und widmete sich der Bergsteigerei. Als Nachfolgerin empfahl er seiner Partei Constanze Krehl - was aus heutiger Sicht wie ein Racheakt wirkt.
Unter Krehl und ihrer grauen Herrenriege verkam Sachsens SPD zu einer Berliner Dependance: Kritik an der Bundesregierung war unerwünscht, eigenständiges Handeln und Denken verpönt. "Man erwartete Kadavergehorsam", beschreibt der Landtagsabgeordnete Cornelius Weiss das Klima. Der 71-jährige frühere Rektor der Leipziger Universität, ein Querkopf, der bislang alle Demontageversuche der Parteiführung überstanden hat, sagt: "Leute, die zentralistisch denken, mögen keine Menschen, die Diskussionen wollen. Sachsens SPD war immer obrigkeitsstaatlich orientiert.Vermutlich eine Folge der DDR-Sozialisierung"
Hinzu kam menschliches Fehlverhalten: Krehl beschimpfte Ministerpräsident Georg Milbradt als "Nicht-Sachsen" und versuchte zweifelhafte Leute in wichtige Positionen zu bugsieren. Schließlich verlor die SPD kürzlich vor dem Dresdner Arbeitsgericht einen Kündigungsprozess mit Pauken und Trompeten. Eine schwerbehinderte Sekretärin der Landesgeschäftsstelle war fristlos entlassen worden, weil sie angeblich 4,50 Euro Fahrt- und Telefongeld falsch abgerechnet hatte.
Menschliches Fehlverhalten, ein kaputtes Binnenklima, Ideenlosigkeit - das ist nur die eine Seite. Es gibt auch andere Gründe für 14 Jahre Dauer-Abo auf Misserfolge. Sachsens SPD ist eine Neugründung und konnte anders als PDS, FDP oder CDU nicht auf Mitgliedskarteien von Vorläuferparteien aus DDR-Zeiten zurückgreifen. Anders als im Westen Deutschlands fehlt die Anbindung an die Arbeitnehmerschaft und Gewerkschaften.
In der Arbeitswelt nicht verankert
"Technische Intelligenz prägt die SPD", sagt Hanjo Lucassen, der jetzt aus dem Dresdner Landtag ausscheidet, so erleichtert wie frustriert. Vor wenigen Monaten spielte der DGB-Landeschef ernsthaft mit dem Gedanken, eine neue Partei zu gründen. Als er 1999 in den Landtag kam, hatte man gehofft, mit ihm die Arbeiterheere zu gewinnen. Funktioniert hat das nicht. "Die SPD hier hat überhaupt keine Verankerung in der Arbeiterschaft", sagt er. Das massenhafte Wegbrechen von Arbeitsplätzen nach 1990 habe die Partei gar nicht wahrgenommen. Nie habe sie sich - im Gegensatz zur fleißigen PDS - zu Problemen arbeitender Menschen äußern können.
So blieb die SPD in Sachsen eine unkenntliche Partei. Die CDU stand für Biedenkopf, Regierung, Sachsen und Wirtschaft; die PDS für Protest, Opposition, Gerechtigkeit, Osten. Sachsens SPD stand für nichts. Sie stand dumm herum und beschäftigte sich am liebsten mit sich selbst. Erfolgreiche SPD-Kommunalpolitiker, wie die Leipziger Hinrich Lehmann-Grube und Wolfgang Tiefensee oder der Chemnitzer Oberbürgermeister Peter Seifert, hielten weiten Abstand zur sächsischen Zentrale.
Nun soll Thomas Jurk das Schlimmste verhindern. Er ist der Spitzenkandidat gegen Ministerpräsident Milbradt und kommissarischer SPD-Chef. Er soll den Trümmerhaufen zusammenfügen, die Partei im Schnellgang mit Profil und Biss ausstatten, scharf gegen Schröder motzen und am besten ein Wahlergebnis knapp über zehn Prozent holen. Sollte er knapp darunter bleiben, dürften ihm die grauen Herren aus Berlin und Leipzig den Garaus machen. "Der Jurk soll sich bloß nicht freuen", sagt Lucassen. "Der wird bald ganz schnell wieder eingefangen."
(von Berhard Honnigfort)
(Kasten)
Vor der Landtagswahl
Sachsens SPD ist gut drei Monate vor der Landtagswahl am 19.September zerstritten und ohne jede Chance auf Regierungsbeteiligung. Weder mit der CDU, noch mit der PDS.
Im schwarzen Sachsen haben die Sozialdemokraten seit der Vereinigung kein Bein auf den Boden bekommen. Zwischen CDU und PDS wurde die SPD mangels eigener Ideen und Taten zerrieben. Die CDU unter Kurt Biedenkopf holte 1990, 1994 und 1999 die absolute Mehrheit. bho