Karl Nolle, MdL
DNN, 05.01.2001
"Aus Regierung Biedenkopf ist die Luft raus"
SPD-Landeschefin Constanze Krehl im Interview
DRESDEN. Bei der Landtagswahl 1999 sackte die Sachsen-SPD mit nur 10,7 Prozent absolut in den Keller. Die neue SPD-Chefin Constanze Krehl, die im Juni vergangenen Jahres mit 88 Prozent gewählt wurde, will die Partei wieder auf Vordermann bringen. Dabei setzt sie vor allem auf die Jugend.
Frage: Unterstützt die SPD nun die Kandidatur von Wolfgang Berghofer als Dresdner Oberbürgermeister, nachdem Karl Nolle das Handtuch geworfen hat?
Constanze Krehl: Eine Unterstützung will ich nicht ausschließen, denn Berghofer hat derzeit die besten Chancen, den CDU-Amtsinhaber Wagner abzulösen. Und darauf kommt es uns an. Aber dieser Schritt würde eine Menge Konflikte in der Partei mit sich bringen, weil Berghofer umstritten ist.
DNN: Wie hält es die SPD generell mit der PDS?
Constanze Krehl: Sie ist politischer Konkurrent. Bei den Kommunalwahlen im Juni wollen wir deutlich machen, dass wir wieder die zweitstärkste Partei im Land sind.
DNN: Das ist mutig. Denn es ist still um die sächsische SPD. Hält sie Winterschlaf?
Constanze Krehl: Man hört wesentlich mehr von der SPD, als nach dem mageren Landtagswahlergebnis zu erwarten gewesen wäre. Insbesondere mit unseren Aktionen gegen die höheren Beiträge für Kindertagesstätten und gegen Rechtsradikalismus haben wir unsere Präsenz gezeigt. Da wir nur 5500 Mitglieder im Freistaat haben, suchen wir uns dafür auch Bündnispartner wie Gewerkschaften und Kirchen, treten also nicht immer allein als SPD auf.
DNN: Wird die Volkspartei zur Sekte in Sachsen?
Constanze Krehl: Nein, aber wir mussten nach der Wahlniederlage erst einmal die Partei zusammenhalten. Nach der Wahl 1994 haben wir zwei Jahre gebraucht, um überhaupt wieder etwas gemeinsam zu unternehmen. Dieses Mal waren wir Anfang 2000 schon wieder zu Aktionen in der Lage.
DNN: Sie sind vor einem halben Jahr mit fulminantem Ergebnis zur SPD-Landeschefin gewählt worden. Als Pilotin wollten Sie die Richtung vorgeben. Wohin fliegt denn nun die SPD?
Constanze Krehl: Wir versuchen, vor allem Jugendliche für eine politische Arbeit mit und in der SPD zu gewinnen. Dazu gibt es viele Diskussionen und auch Demonstrationen, beipielsweise gegen die katastrophale Hochschulpolitik des Landes. Da unterstützen uns die Jusos sehr. Zudem bereiten wir im Vorstand einen Leitantrag für den Parteitag am 7. April vor, in dem es um die Einbeziehung der Jugend in die Kommunalpolitik geht.
DNN: Aber wo setzt die SPD inhaltliche Schwerpunkte? Wo will sie aufhorchen lassen?
Constanze Krehl: In allen Bereichen der Bildung. Das reicht von den Kitas über Lehrinhalte an den Schulen bis zu den Universitäten. Es geht darum, in Sachsen eine bessere Schullandschaft zu schaffen, die die jungen Leute optimal auf das Leben vorbereitet.
DNN: Wollen Sie alles wieder umpflügen?
Constanze Krehl: Zehn Jahre nach Einführung neuer Schulformen kann man zwar nicht alles umkrempeln, aber die Qualität verbessern, etwa den Sprachunterricht verstärken, den Informatikunterricht modernisieren und mehr Weiterbildung für die Lehrer organisieren.
DNN: Gibt es noch das Grummeln an der Basis und die Vorurteile gegenüber der neuen Chefin?
Constanze Krehl: Ich habe den Eindruck, dass ich anerkannt werde. In der ersten Zeit war natürlich viel Frust abzubauen. Jetzt gibt es eine Art Aufbruchstimmung. Wir haben zum Beispiel für die Kommunal- und Landratswahlen im Juni genügend Kandidaten. Das sah erst nicht so aus.
DNN: Wie packen Sie den Spagat zwischen SPD-Landespolitik und Ihrer Arbeit als Europa-Abgeordnete?
Constanze Krehl: Die Belastung ist gut zu verkraften. Ich habe in Brüssel ein gutes Mitarbeiterteam, das mir viel organisatorische Vorarbeit abnimmt. Außerdem wird die Verzahnung zwischen europäischer Politik, Landes- und Kommunalpolitik immer enger, so dass ich vieles aus dem einen Job für den anderen nutzen kann.
DNN: Werden Sie bei der nächsten Landtagswahl 2004 als SPD-Spitzenkandidatin ins Rennen gehen?
Constanze Krehl: Ich werfe dafür meinen Hut in den Ring. Aber darüber wird nicht jetzt, sondern 2003 entschieden. Ich halte mich für kompetent, das zu machen und kann die Partei auch in diesen Wahlkampf führen.
DNN: Sie haben unlängst im Zusammenhang mit der Affäre um das Leipziger Paunsdorf-Center den Rücktritt von Ministerpräsident Biedenkopf gefordert. Halten Sie daran fest?
Constanze Krehl: Der Lack ist ab beim Ministerpräsidenten. Es ist lediglich eine Befriedigung seiner Eitelkeit, dass er nicht abtritt, obwohl die Zeit dafür reif ist. Er kann nur noch in wenigen Bereichen Akzente setzen. Aus der CDU-Regierung ist insgesamt die Luft raus. Wirtschaftsminister Schommer unternimmt nichts, um Arbeitsplätze zu schaffen und schürt verantwortungslos Ängste vor der EU-Osterweiterung. Kultusminister Rößler betreibt eine abstruse Schulpolitik. Auch im Hochschulbereich und bei der Frauenpolitik liegt vieles im Argen. Und der Finanzminister scheint nur ein Arbeitsmittel zu kennen: den Rotstift.
(Interview: Anita Kecke)
Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht um die Spitze der Stadt, an die andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE