Karl Nolle, MdL

Dresdner Morgenpost, 05.01.2001

Auf dem Weg in die Versenkung

Politik-Kommentar
 
DRESDEN. Halb stieß man ihn, halb sank er hin. Der bisher einzige Kandidat der SPD für das Oberbürgermeisteramt in Dresden, Karl Nolle warf das Handtuch. So viel ist sicher.
Wehklagen über den überraschenden Abgang des Landtagsabgeordneten ist aus den Reihen der Sozialdemokraten nicht zu hören. So viel ist auch sicher. Und nun?
Nun spricht Sachsens SPD-Chefin Constanze Krehl laut aus, was in vielen Köpfen seit Wochen als Gespenst herumspukt: Wolfgang Berghofer könnte es machen. Er ist möglicherweise der gemeinsame Nenner, auf den sich SPD, PDS und OB-Initiative jetzt einigen können. Aber um welchen Preis?
Dabei geht es zunächst nicht um die Aufrechnung der Verdienste Berghofers bei der Wende gegen seine Verurteilung als Wahlfälscher. Dabei geht es auch nicht um die Frage, ob einer als Hoffnungsträger taugt, der sich seit zehn Jahren aus der Politik zurückgezogen hat. Und es geht auch nicht darum, ob die – auch in der CDU greifbare – Unzufriedenheit mit Amtsinhaber Herbert Wagner eine tragfähige Plattform sein kann.
Nein, heute geht es um die schlichte Frage, ob die von den Wählern zuletzt hart gestrafte SPD sich in Sachsen nun endgültig von der Verliererstraße in die Versenkung verabschieden will. Denn wie wollen die Sozialdemokraten jemals wieder ernsthaft im Freistaat antreten, wenn sie es nicht einmal schaffen, einen eigenen kompetenten OB-Kandidaten für dessen Hauptstadt auf den Schild zu haben? Hat diese große Volkspartei wirklich nur so wenig Substanz, oder hat sie sich in Sachsen schon aufgegeben?
(Peter Rzepus)

Kommentar
Die SPD-Landesvorsitzende hat am 4.1.01, ohne sich mit der Dresdner SPD ins Benehmen zu setzen, die Wählbarkeit von Berghofer ins Spiel gebracht.
Eine Meinungsbildung zu Berghofer kann aber in der Dresdenr SPD solange nicht stattfinden, als von ihm keinerlei Aussagen über Inhalte und Politikstil vorliegen und ebenfalls keine Antwort auf eine Kandidatur gegeben wurde. Sollte der Versuch gemacht werden, von wem auch immer, ohne Prüfung, Würdigung und Bewertung aller bekannten und noch abzufordernden Fakten eine Berghoferunterstützung der Dresdner SPD mehrheitlich aufzuzwingen, so ist das die Zerreissprobe der Partei, abgesehen davon dass zahlreiche Mitglieder mit zusammen einigen zehn Jahren Bautzen nach der Wende ihre politische Heimat in der SPD gefunden haben.
Mit den Altlasten von Berghofer wird kein Amtsbote, Referent oder Referatsleiter bei der Stadt oder sonstwo im öffentlichen Dienst eingestellt.
Um nicht mißverstanden zu werden, es geht um die Spitze der Stadt, an die andere Maßstäbe angelegt werden müssen. Berghofer als OB, das wäre ein Schlag ins Gesicht der tausenden Kleinen, die man "hängte" um die Großen laufen zu lassen.
Wäre das nicht gerade das falsche Signal 10 Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur? Ich bin gespannt auf die demokratischen Verrenkungen, die uns in den nächsten Monaten noch zugemutet werden und auf die überzeugenden Erklärungen, warum mit Berghofer alles gut werden wird. Einige U-Boote, auch in der SPD, haben ihre Sehrohre zum Auftauchen schon ausgefahren. Da wird es seltsame Koalitionen geben.
KARL NOLLE