Karl Nolle, MdL
DIE WELT, 29.06.2004
Sachsens SPD-Chefin Krehl legt ihr Amt nieder
Dresden - Sachsens SPD-Chefin Constanze Krehl ist gestern vom Landesvorsitz zurückgetreten und wird auch nicht länger für die Landtagswahl im September kandidieren. Sie reagiert damit auf eine innerparteiliche Wahlschlappe, die sie in einem heftigen Machtkampf der sächsischen Genossen am Wochenende erlitten hatte. Die Landesdelegiertenkonferenz habe "eine klare Richtungsentscheidung gegen Sachpolitik getroffen", erklärte Krehl. Daraus ziehe sie die persönlichen Konsequenzen.
Die 59 Delegierten eines Listenparteitages hatten die EU-Abgeordnete nur mit 32 Stimmen auf Platz zwei der Landesliste gewählt. Fraktionschef Thomas Jurk, mit dem sie bisher ein "Spitzenduo" bilden wollte, wurde dagegen mit fast 90 Prozent zum Spitzenkandidaten gekürt. Die Abstimmung galt daher als Misstrauensvotum gegen die Chefin. Jurk soll nun bis nach der Wahl amtierender Parteichef werden. Darum habe ihn Rolf Schwanitz, Staatsminister im Kanzleramt und sächsischer Parteivize, gebeten, hieß es in Parteikreisen.
Krehl war in den vergangenen Monaten wegen der vehementen Durchsetzung eigener Machtansprüche und eines teilweise als "stalinistisch" beschriebenen Führungsstils in die parteiinterne Kritik geraten. Übel genommen wurden ihr auch der Rauswurf einer behinderten Sekretärin. Der Streit war bereits offen ausgebrochen, als Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee Ende 2003 der Partei einen Korb gab und wegen der Olympia-Kandidatur nicht als Spitzenkandidat bereitstehen wollte.
Dabei hatte die 47-Jährige Krehl zuvor eine erfolgreiche Parteikarriere absolviert: Die gelernte Informatikerin war Mitbegründerin der Ost-SPD und Abgeordnete der letzten DDR-Volkskammer. Seit 1994 ist sie SPD-Abgeordnete im Europaparlament und hat ihr Mandat vor zwei Wochen verteidigt. Im September 1999 übernahm sie den Landesvorsitz von Karl-Heinz Kunckel, der bei der damaligen Landtagswahl gescheitert war.
Krehls Fiasko am Wochenende ging indes tiefer: Auf fünf der vorderen zehn Listenplätze wurden ihre Vorschläge, die der Vorstand noch am Wochenende handstreichartig eingebracht hatte, wieder gekippt. Jurks Gefolgsleute setzten sich dagegen durch. Unter ihnen der sächsische Juso-Chef Martin Duhlig und der umstrittene Fraktionsfrontmann Karl Nolle, der mit Skandalen Schlagzeilen macht.
Hinter dem Streit steht auch eine Richtungsentscheidung, die die SPD im gesamten Osten vor eine Zerreißprobe stellt. Krehls SPD hatte sich - wie auch der gescheiterte Thüringer Spitzenkandidat Christoph Matschie - bisher auf eine Annäherung an die CDU und die mögliche Rolle eines Juniorpartners eingestellt. Mit diesem Kurs dürfte es vorerst vorbei sein: Jurk gilt als Vertreter einer offensiveren Oppositionsarbeit und einem vorsichtigen Flirt mit der PDS.
Sachsens DGB-Chef und scheidender Landtagsabgeordneter Hanjo Lucassen klagte, die Partei stehe vor einem Scherbenhaufen. Verantwortung trügen auch prominente Sozialdemokraten wie Schwanitz, Gerald Thalheim, Staatssekretär bei Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne), und der Bundestagsabgeordnete und Leipziger Unterbezirkschef Gunther Weißgerber. Sie seien die Strippenzieher der Partei. Klärung dürfte aber erst ein Parteitag im Herbst bringen.
Dass Personaldebakel trifft die SPD ausgerechnet drei Monate vor der Landtagswahl. Dabei hatte die Partei schon beim Urnengang 1999 mit 10,7 Prozent den historischen Tiefstand der deutschen Sozialdemokratie markiert. Inzwischen schließen manche Genossen den Absturz in den einstelligen Bereich nicht aus.
In Sachsen schließen manche Genossen den Absturz der Partei in den einstelligen Bereich nicht mehr aus.
(von Sven Heitkamp)