Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, 31.07.2004
„Kaltherzig und sozial ignorant"
Union und Verbände wollen Zahlungstücke bei Arbeitslosengeld II nicht hinnehmen - Clement unter Beschuss
Berlin. Union und Sozialverbände werfen Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) unmoralisches und unsoziales Handeln vor. Hintergrund ist der Plan von Clement, ehemaligen Arbeitslosenhilfe-Beziehern das neue Arbeitslosengeld II nicht im Januar, sondern erstmals im Februar auszuzahlen. Die Haltung Clements sei „unakzeptabel", sagte zum Beispiel CSU-Chef Edmund Stoiber gestern. „Dabei kann es natürlich nicht bleiben", fügte er hinzu. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sagte: „Anstatt solide zu wirtschaften, greift die Regierung jetzt den Schwächsten in die Taschen." Der Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) nannte das Vorhaben „kaltherzig und sozial ignorant".
Milbradt: Wie rechtfertigt Clement elf Monatszahlungen?
Clement hatte argumentiert, da die bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfänger ihre letzte Rate für 2004 Ende Dezember ausbezahlt bekämen, seien sie im Januar 2005 nicht bedürftig. Stoiber hielt dem entgegen: „Man kann nicht eine Monatsrate für zwei Monate vorsehen. Das geht nicht. Deswegen muss das geändert werden." Ähnlich äußerte sich der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU): „Das Jahr hat bei uns immer noch zwölf Monate. Herr Clement möge erklären, wie er dann elf Monatszahlungen rechtfertigt." Das Geld stehe den Menschen zu.
CDU-Generalsekretär Meyer nannte die Pläne „unmoralisch und unsozial". Die Regierung wolle damit die 1,4 Milliarden Euro einsparen, die Finanzminister Hans Eichel (SPD) dringend benötige, um den Haushalt „gerade noch über die Hürde der Verfassungsmäßigkeit zu hieven". Für das rot-grüne „Finanzchaos" sollten nun die Schwächsten bluten. DPWV-Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider sagte: „Ich frage mich, was Herrn Clement umtreibt. Sieht er nicht, dass er die Leute völlig an die Wand drückt?" Durch das Arbeitslosengeld II fielen viele Menschen im kommenden Jahr ohnehin „brutal" auf Sozialhilfeniveau.
Nach Ansicht von FDP-Vize Rainer Brüderle droht Hartz IV immer mehr zur Maut II" zu werden. Mehrere junge Bundestagsabgeordnete stellten sich hingegen parteiübergreifend hinter die umstrittene Reform. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum r. Januar 2005 „ist gerecht und war längst überfällig", sagte der Vorsitzende der Jungen Gruppe der CDU Bundestagsabgeordneten, Günter Krings. Gemeinsam mit jungen Politikern von CSU, SPD und Grünen wandte sich Krings gegen die öffentliche Kritik, nach der ab kommenden Januar ganze Bevölkerungsschichten in die Armut rutschen würden.
Finanzminister Eichel lehnte in einem Brief an die Ministerpräsidenten der Länder weitere Umverteilungen von Geldern aus Bund und Ländern an die Kommunen ab. Er begründet dies laut „Süddeutscher Zeitung" damit, dass es den Kommunen besser gehe als vielfach behauptet. So rechnet er vor, dass die Kommunen 2005 um 6,6 Milliarden und 2006 sogar um 6,8 Milliarden Euro entlastet werden.
Wirtschaftsminister setzt auf „Ein-Euro-Jobs"
Um die Zahl der Langzeitarbeitslosen schnell zu senken, setzt Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) verstärkt auf so genannte Ein-Euro-Jobs. Von Kinderbetreuung bis Gartenbau komme jede Arbeit in Frage, die nicht der örtlichen Wirtschaft ins Gehege komme, sagte Clement gestern. Er forderte die Kommunen auf, solche im Hartz IV-Gesetz vorgesehenen „Arbeitsgelegenheiten" möglichst bereits ab Oktober 2004 anzubieten.
Die „Arbeitsgelegenheiten" für Langzeitarbeitslose folgen dem Vorbild bestehender Angebote für Sozialhilfeempfänger. Laut Clement sollen solche Jobs in der Regel nicht länger als sechs bis neun Monate dauern.
Dabei wird besonders jüngeren Arbeitslosen von einer kommunalen Beschäftigungsgesellschaft oder einer gemeinnützigen Organisation Arbeit angeboten, für die statt Lohn nur eine Aufwandsentschädigung von ein bis zwei Euro pro Stunde gezahlt wird. Dieses Geld wird aber zusätzlich zum neuen Arbeitslosengeld II gezahlt und nicht damit oder mit anderen Sozialleistungen verrechnet. Lehnt ein Arbeitsloser das Angebot ab, drohen Leistungskürzungen.
Clement sagte dazu, die Arbeitsgelegenheiten mit ein bis zwei Euro Bezahlung pro Stunde seien ein Beitrag dazu, „erst einmal Not zu lindern". Geld dafür sei bereits vorhanden, auch schon vor der ab Anfang 2005 geplanten Auszahlung des Arbeitslosengeldes Il. Der Minister betonte, die Arbeitsgelegenheiten seien keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) sagte, mit dem Arbeitslosengeld II und der Aufwandsentschädigung erreiche ein Arbeitsloser fast die Höhe eines in seinem Land üblichen Einkommens. (ddp mit afp)
(von Thorsten Severin)