Karl Nolle, MdL

Hannoversche Allgemeine Zeitung, 21.09.2004

In Dresden will die SPD mitregieren

 
Dresden. Der Vorgang ist ungewöhnlich. Am Montagvormittag, als alle sächsischen Parteien in internen Runden über das Wahlergebnis berieten, gab SPD-Fraktionschef Thomas Jurk eine öffentliche Erklärung ab. „Wir werden als Koalitionspartner gebraucht", sagte er und erneuerte förmlich „das Angebot an die CDU".

Dies klingt ein wenig nach Anbiederung. Normalerweise wäre es die Aufgabe der CDU als stärkste Partei gewesen, aus dem Kreis der kleinen Fraktionen einen Gesprächspartner für Koalitionsverhandlungen zu benennen. Man kann Jurks Auftreten wohl mit dem Wechselbad der Gefühle erklären, das die kleine und leiderfahrene sächsische SPD seit Sonntagabend durchlebt. Einerseits hat sie noch einmal verloren und ist unter die magische Zehn-Prozent-Marke gerutscht. Andererseits hat sie nun die Chance, auf die viele in der SPD seit 14 Jahren vergeblich gewartet haben - nämlich an der Regierung beteiligt zu werden.

Die CDU nutzt Jurks Angebot gern, ihr Generalsekretär Hermann Winkler meinte auch gleich am Montag, außer der SPD komme wohl kaum ein Partner in Frage. Hatte es nämlich am Wahlabend zunächst so ausgesehen, als reiche es für Schwarz-Gelb, so zeigte sich kurz vor Mitternacht, dass CDU und FDP allein nicht mehr als die Hälfte der Mandate erringen werden. Manche in der CDU sind am Montag sogar erleichtert. Denn mit der FDP zu regieren hätte ein großes Risiko bedeutet - alle frisch gewählten Abgeordneten sind jung, unerfahren und schwer berechenbar. FDP-Spitzenmann Holger Zastrow gilt zudem als jemand, der in Verhandlungen schon einmal plötzlich die Latte hoch legen kann. Im Fernsehen behauptete er am Wahlabend, die vielen Schulschließungen, die die CDU-Alleinregierung angeschoben hatte, könnten „mit der FDP so nicht durchgesetzt werden".

Von der SPD hingegen, das vermerkt man in der CDU sehr wohl, sind solche harten Sprüche seit Sonntagabend nicht zu hören gewesen. Anders als die künftigen FDP-Abgeordneten sind die von der SPD der CDU wohl bekannt, man weiß sich einzuschätzen. Von Jurk etwa heißt es, dass er durchaus auf Distanz zur CDU steht, aber ein gradliniger und verläßlicher Politiker ist. Der Bürgerschreck Karl Nolle aus Hannover, der einst Biedenkopf und dann Milbradt gejagt und Untersuchungsausschüsse angeschoben hatte, dürfte sich künftig zurückhalten müssen. Weil eine starke Strömung in der SPD jetzt mit der CDU regieren will, sind oppositionelle Attacken von Nolle nicht mehr willkommen.

Ein Bündnis von Christ- und Sozialdemokraten gilt am Montag als wahrscheinlich trotz Nolle und trotz Jurks Vorbehalten gegenüber der Union. Viele jetzt nötige Projekte, eine Kreisreform und die Auflösung der Bezirksregierungen zum Beispiel, könnten mit der SPD auf den Weg zu bringen sein. Sogar von zwei Ressorts für die SPD ist schon die Rede, Infrastruktur und Bildung. Eine Reihe ministrabler Kandidaten hat die SPD schon. Will die SPD einen Clou landen, müßte sie ihren populärsten Politiker ins Kabinett schicken, den Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee. Ob der will, ist fraglich - aber er wäre sicher für das Innenressort eine geeignete Besetzung.

Aber was geschieht, wenn sich CDU und SPD in Koalitionsgesprächen doch verbeißen sollten, oder wenn Störfeuer von außen kommt? Dann wäre Milbradt wohl gezwungen, ein Dreierbündnis von CDU, FDP und Grünen zu bilden. Da die Grünen aufs Opponieren getrimmt sind, gilt dies als äußerst schwieriges Unterfangen. Aber der Ministerpräsident muß im Moment der herben Niederlage seiner Partei auf alles eingestellt sein. Vor seinen Anhängern äußerte er sich deshalb vieldeutig: „Wir wollen, dass Sachsen im Osten das Land Nummer eins bleibt. Wer diesen Weg mitgehen will, ist herzlich eingeladen."
(von Klaus Wallbaum)