Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland - ND, 08.11.2004

Sachsen: Schwerer Abschied von bayrischen Verhältnissen

CDU und SPD billigen Koalitionsvertrag – die Union mit Schmerzen
 
Der Koalitionsvertrag in Sachsen ist auf Parteitagen von CDU und SPD gebilligt worden. Doch bei der Union trügt die deutliche Mehrheit. Seit dem Stimmverlust die reale Machteinbuße folgt, brodelt es in der Partei.

»Ich will’s nicht mehr lange machen«, sagte Georg Milbradt – und erntete Prusten im Saal. Der Chef der Sachsen-CDU hatte seinen Parteifreunden das nahe Wochenende avisieren wollen. Der Satz konnte jedoch auch als Reaktion auf deutliche Kritik schon vor dem Parteitag am Samstag verstanden werden.

»Bitterer Rückschlag«

Dort wurde zwar der Koalitionsvertrag mit der SPD gebilligt; es gab aber auch viel Nervosität. Sie zeigt, wie schwer es der Union fällt, zu akzeptieren, dass sie nach 14 Jahren Alleinregierung koalieren muss. Als Reaktion auf die Vorab-Angriffe legte Milbradt zunächst das Büßermäntelchen um – jedoch nur quasi stellvertretend für die Partei. Die Wahl vom 19. September, bei der die CDU 376000 Stimmen und 15,8 Prozentpunkte verlor, sei eine »herbe Enttäuschung« und ein »bitterer Rückschlag« gewesen. Neben dem Bundestrend seien dafür auch Fehler der Partei in Sachsen verantwortlich: »Wissen wir noch, was die Menschen bewegt?« Die CDU habe sich »in falscher Sicherheit gewiegt«, sagte Milbradt – ohne freilich persönliche Verantwortung einzuräumen. Dass die CDU nun mit einem Partner regieren muss, sei in Deutschland »nichts Außergewöhnliches«, suchte der amtierende und künftige Ministerpräsident die Partei zu beschwichtigen. Lediglich für die sächsische Union sei das Teilen von Macht »völlig neu«, sagte Milbradt und räumte ein, »der Traum von den bayrischen Verhältnissen« sei vorerst »ausgeträumt«.

Milbradt, der CDU-Verhandlungsführer in den Koalitionsrunden war, gab sich trotz der erheblichen Unruhe im Saal redliche Mühe, den Vertrag so gut wie möglich zu verkaufen: Positionen der Union hätten sich »weitgehend durchgesetzt«, auch gebe es »keinen Bruch, sondern allenfalls eine Weiterentwicklung« bisheriger Politik, sagte er und fügte hinzu, die SPD habe »Abstand von veralteten Vorstellungen aus der Oppositionszeit« genommen.

Neue Akzente gesetzt?

Das schienen die Genossen, die zur gleichen Zeit tagten, anders zu sehen. Während Milbradt noch den Vertrag schön redete, wurde bekannt, dass dieser bei der SPD mit 134 Ja-Stimmen und einer Enthaltung gebilligt worden war. Verhandlungsführer Thomas Jurk, der am Samstag mit 88 Prozent auch als Landesvorsitzender bestätigt wurde, hatte erklärt, die SPD habe »auf allen Feldern der Landespolitik neue Akzente setzen« können.

Derweil verteidigte Milbradt die Ressortverteilung. Vor allem der Umstand, dass die SPD für Wirtschaft zuständig sein wird, stößt vielen Christdemokraten sauer auf.

Partner unter Aufsicht

Da ändern Beteuerungen wenig, ein SPD-Kultusminister hätte auch SPD-Politik machen können, während im Wirtschaftsressort stets CDU-Politik betrieben werde: »Es gibt keine Koalition, in der ein SPD-Wirtschaftsminister bleibenden Eindruck hinterlassen hätte«, sagte Milbradt und versicherte, er werde sich »in Person noch stärker um den Bereich Wirtschaft kümmern, damit das dort läuft«. Doch der Stachel sitzt tief. Vorm Votum über den Koalitionsvertrag wurde gar gefragt, ob über die Ressortverteilung getrennt abgestimmt werden könne.
Am Ende waren die Debatte kurz und das Ergebnis deutlich: Bei sechs Enthaltungen und sieben Gegenstimmen votierten 213 CDU-Delegierte für den Vertrag. Doch ob Milbradt die Enttäuschten ausreichend beschwichtigt hat, um sich am Mittwoch bei der Wahl zum Ministerpräsidenten trotz knapper Mehrheit die nötige Zustimmung bereits im ersten Wahlgang zu sichern, ist offen. Und auch in der Partei wird der Streit weitergehen. Anfang 2005 gibt es Regionalkonferenzen und einen Sonderparteitag. »Wir brauchen einen Neuanfang«, sagt Roland Wöller, ein Stimmführer der »jungen Wilden« in der CDU. Ob das auch für Personen gilt, ließ er offen.
Von Hendrik Lasch, Dresden