Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 29.11.2004

Ein Tonband für drei

Landesbank Sachsen. Ein deutscher Industrieboss verliert das Vertrauen in Sachsens wichtigstes Geldhaus; dessen Vorstände reagieren barsch oder fliegen in Urlaub.
 
Der Mann ist nicht gerade ein kleines Licht. Spätestens seit der feindlichen Übernahme des Wälzlagerherstellers FAG-Kugelfischer im Herbst 2001 gehört Jürgen Geißinger zur ersten Riege der deutschen Industriemanager. Der 45-Jährige ist Boss der Ina-Schaeffler KG mit 57 000 Beschäftigten und mehr als sieben Milliarden Euro Umsatz. Und er ist sauer: auf die Landesbank Sachsen Girozentrale (Sachsen-LB), vor allem aber auf deren Vorstand Rainer Fuchs. „Was der sich erlaubt, habe ich in der Form noch nicht erlebt“, schimpft Geißinger.

Der gemeinsame Berührungspunkt der Top-Manager ist die Sachsen-LB-Tochter Mitteldeutsche Leasing AG (MDL). Fuchs ist Vorsitzender des MDL-Aufsichtsrats. Dem Kontrollgremium gehört, neben einem weiteren Landesbanker, auch Geißinger an. Zwischen ihm und Fuchs brennt die Luft. Denn die MDL ist nicht irgendeine Tochter im Sachsen-LB-Konzern.

An dem Leasing-Unternehmen hatte sich im März die bislang schwerste Imagekrise der Landesbank entzündet. Gerüchte und Presseberichte machten die Runde: über bespitzelte und gemobbte Mitarbeiter, über zu große Dienstwagen und Vetternwirtschaft. Im Mittelpunkt standen MDL-Vorstandschefin Andrea Braun, ihr Jahresgehalt von fast 160 000 Euro und ihr Lebensgefährte Michael Weiss, der Boss der Landesbank. Als sich das Geldhaus im Dezember 2000 mit dem einflussreichen bayerischen Geschäftsmann Ludwig Hausbacher zusammentat, um die MDL mit ihren einst 50 Mitarbeitern zu gründen, wollten beide Gesellschafter profitieren vom Wachstumsmarkt Leasing – obwohl die sächsischen Sparkassen in dieser Branche mit der Deutschen Leasing AG längst einen anderen Kooperationspartner hatten. Nach anfänglich öffentlichkeitswirksam gefeierten Erfolgen kam es 2003 in der MDL zum Bruch. Die Schuld am Jahresfehlbetrag von fast zwölf Millionen Euro schieben sich die Bayern und Sachsen bis heute gegenseitig in die Schuhe: über die Presse, vor Gericht, mit Gutachten. Der seinerzeit von Hausbacher empfohlene Kontrolleur Geißinger bezweifelt, dass bei der MDL unter Führung von Weiss-Freundin und Vorstandschefin Andrea Braun alles mit rechten Dingen zugegangen ist. So stellt ein von beiden Seiten in Auftrag gegebenes Gutachten zum Beispiel die Rechtmäßigkeit der MDL-Filialschließungen in Frage. Das Fazit der Wirtschaftsprüfer der renommierten Deloitte & Touche GmbH: „Wir haben festgestellt, dass Frau Andrea Braun ihre Vorstandspflichten verletzt hat. Sie hat faktisch die stille Abwicklung der Gesellschaft eigenmächtig eingeleitet.“ Nach Bekanntwerden des Gutachtens sprach auch Sachsen-LB-Sprecher Frank Steinmeyer von „möglichen Fehlhandlungen des Managements“ und von bestehendem „Klärungsbedarf“. Auch deshalb will Kontrolleur Geißinger seinem Engagement in Sachsen besonders auf den Grund gehen. Seit Wochen streitet er mit Landesbank-Vorstand Fuchs um die Organisation der nächsten Aufsichtsratssitzung. Die Korrespondenz umfasst mindestens zwölf Briefe.

Der Chef eines der größten deutschen Industrieunternehmen jedenfalls traut der Sachsen-LB nicht mehr. Geißinger besteht auf der Teilnahme externer Berater zur nächsten Aufsichtsratssitzung. Er fragt sich, „ob seitens der Mehrheitsgesellschafterin Landesbank Sachsen Sachverhalte erkannt worden sind, die es vor dem prüfenden Auge fachlich geschulter Personen zu verbergen gilt“. Das weist Fuchs „mit größtem Nachdruck“ zurück, ebenso die Teilnahme von Beratern. So etwas geschehe nur im Ausnahmefall, der aber bei der MDL nicht vorliege. Gleichwohl setzt Fuchs Geißinger genau damit unter Druck: „Eine nochmalige Absage ist in Anbetracht der derzeitigen Unternehmenssituation aber nicht mehr zu verantworten.“ Auch der Kritik Geißingers an einer „nicht ordnungsgemäßen Aufbereitung der Sitzungsunterlagen“ widerspricht der Banker barsch: „Wenn Sie dieses Prinzip fortsetzen, werden Sie mit dieser Begründung alle Sitzungen absagen können.“

Das ist ein Ton, der unter Managern selten ist. Zumal Fuchs die Briefe an Geißinger allein unterschreibt, auf Sachsen-LB-Papier. Dabei gilt auch bei der Landesbank das Vier-Augen-Prinzip. Das heißt: Im externen Schriftverkehr hat zumindest ein zweiter Banker mit zu unterschreiben. Nach Angaben der Sachsen-LB gilt das für den Schriftwechsel mit Geißinger jedoch nicht. „Unser Banklogo ziert zwar die Briefköpfe, doch Herr Fuchs verwendet persönliche Vorstands-Briefbögen, auf denen er auch allein unterschreiben kann“, so Banksprecher Steinmeyer. Das Klima im MDL-Aufsichtsrat ist jedenfalls so vergiftet, dass die nun auf den 7. Dezember terminierte Sitzung des Kontrollgremiums auf Tonband mitgeschnitten werden soll. Für Geißinger ist all das „nicht mehr normal“. In seiner 13-jährigen Industriekarriere sei ihm so etwas noch nicht untergekommen. Für Geißinger steht fest: „Die Reputation der MDL wurde kaputtgemacht.“

Die Auslöser dieser neuen Imagekrise scheint das nicht besonders zu interessieren. Obwohl die MDL und auch die Sachsen-LB dringend mehr Eigenkapital benötigen und in der ersten Dezemberhälfte wichtige Sitzungen über die Zukunft der Unternehmen anstehen, sind MDL-Chefin Braun und Sachsen-LB-Boss Weiss gemeinsam in Urlaub geflogen: von Anfang November bis zum ersten Dezember-Wochenende, über Dubai nach Neuseeland. Auch die Politik sieht keinen Grund zum Eingreifen. Von Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU) war trotz Nachfrage weder zum Streit mit Geißinger noch zum Weiss-Urlaub eine Stellungnahme zu erhalten.
(von Ulrich Wolf)