Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 17.01.2005
Schiffbruch statt Aufbruch
Was wollte Sachsens Ministerpräsident Milbradt nicht alles ändern - jetzt muss er den Zorn seiner CDU fürchten
Waren das Zeiten, als Georg Milbradt sich nur von rohen Möhren ernährte, als er Mineralwasser trank und auf ein Glas Bier dankend verzichtete. Als er sich die Haare rappelkurz schneiden ließ und wie ein zu allem entschlossener Drill-Sergeant des US Marine Corps dreinblickte.
Eigentlich noch gar nicht so lange her. Im Sommer 2001 war das, in jenem Jahr, als es drunter und drüber ging in der Landespolitik und die CDU sich selbst das Leben zur Hölle machte. Wenige Monate zuvor hatte Ministerpräsident Kurt Biedenkopf Milbradt als Finanzminister gefeuert. Biedenkopf wollte ihn als Nachfolger demontieren. Ein "hervorragender Fachmann, aber ein miserabler Politiker" hatte Biedenkopf den alten Mitstreiter verhöhnt und dann rausgeworfen. Milbradt, damals 56 Jahre alt, ging mit sich in Klausur und beschloss, den Kampf gegen Biedenkopf aufzunehmen. Er machte sich fit, er legte sich ins Zeug, er lebte gesund, er veränderte sich, er nahm ab, er blühte auf, er hatte ein Ziel. Er wollte zeigen: Ich bin mehr als ein hervorragender Fachmann. Und er sollte Erfolg haben. Im Herbst 2001 wurde Milbradt neuer CDU-Landesvorsitzender und löste Fritz Hähle ab, im Frühjahr 2002 wurde er Ministerpräsident. Biedenkopf trat grollend ab.
Waren das Zeiten. Damals wollte Milbradt die verschlafene CDU zum Leben erwecken. Die CDU, die von Biedenkopf stets ignoriert worden war, weil sie nicht gebraucht wurde. Die Landtagswahlen hatte "König" Kurt Biedenkopf ja stets im Alleingang gewonnen mit überragenden Resultaten, absoluten Mehrheiten, allen Direktmandaten. Alle Landräte, die meisten Bürgermeister, alles war in CDU- Hand. Alles sonnte sich im Glanze Biedenkopfs. Er garantierte den Erfolg. Und die meisten Christdemokraten entspannten sich im Freizeitpark Sächsische Union. "Wir waren nur ein Biedenkopf-Fan-Club", erinnert sich ein Dresdner CDU-Mann. "Sonst nichts."
Damals, im August 2001, schrieb der Erneuerer Milbradt einen klugen Aufsatz über die Lage der sächsischen CDU. "Aufbruch statt Routine", hieß das. Lauter gescheite Sachen standen darin: Die CDU solle die Aufgabe der politischen und geistigen Führung ernst nehmen. "Wer Zustimmung will, muss Sinn vermitteln." Die sächsische CDU dürfe nicht länger das "Anhängsel" der Staatskanzlei in Dresden sein. Sie müsse sich neu aufstellen, sie müsse ein erwachsener, selbständiger Partner in der Politik werden. Und vor allem: Nicht die Routine des Erfolgs sichere zukünftig Mehrheiten, sondern der Aufbruch in die Zukunft.
Waren das Zeiten. Heute kursiert Milbradts Papier wieder in der CDU - als Munition gegen Milbradt. Er wird gemessen an seinen Worten und schneidet in den Augen vieler CDU-Mitglieder sehr schlecht dabei ab. Viel ist geschehen seit 2001 für die sächsische CDU - viel und auch nichts. Mit dem Ende der Ära Biedenkopf verschwand der Glanz und endgültig der Erfolg. Eigentlich ging es schon vorher los, 1998. Ein schwaches Ergebnis bei der Bundestagswahl, später gingen Kommunal- und Oberbürgermeisterwahlen verloren, es gab Einbrüche bei der Europawahl. Schließlich vergangenen September die Landtagswahl: 15,8 Prozentpunkte Verlust für die CDU, absolute Mehrheit dahin, die NPD im Landtag. Was Milbradts Meisterstück werden sollte, wurde zum Desaster. Die CDU hatte das Verlieren gelernt. Aber danach geschah nichts: Niemand wollte die Verantwortung für die Niederlage übernehmen. Milbradt verwies nach der Wahl eilig darauf, seine Sympathiewerte lägen über denen der Partei. An ihm könne es also nicht liegen. CDU-Generalsekretär Hermann Winkler, der Manager des Wahlkampfs, war auch nicht schuld, er wurde sogar mit dem Posten des Chefs der Staatskanzlei belohnt. "Macht ohne Verantwortung", beschreibt jemand das Phänomen. "Routine statt Aufbruch." Nichts änderte sich, nur die schlechte Laune in der CDU schwoll an.
Womöglich wird dieses Jahr wieder ein sehr turbulentes für die CDU. Denn es regt sich beachtlicher Widerstand gegen den ungeliebten Milbradt. Offen trat der erstmals zutage, als Milbradt im Landtag erst im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, weil ihm eigene Leute die Stimme versagten. Sabotage in der eigenen Fraktion. Mittlerweile wird fast offen diskutiert, ob es nicht besser sei, ihn als CDU-Chef abzulösen. Überall macht sich die Stimmung breit, mit ihm seinen keine Wahlen zu gewinnen. Dass Milbradt 2009 noch einmal kandidieren wird, glaubt momentan kaum jemand in der CDU. Er ist ein Mann des Übergangs, sagen die einen. Er ist schon jetzt eine lahme Ente, sagen andere. Vor allem wird ihm vorgeworfen, in der CDU nichts geändert zu haben.
"Wenn es so weitergeht, sehe ich schwarz", beschreibt der Landtagsabgeordnete Roland Wöller die Lage seiner Partei. Wöller gehört neben dem amtierenden CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer zu einer kleinen Gruppe Politiker, die seit langem Mängel offen ansprechen und sich um frischen Wind bemühen. Im Dezember haben die beiden mit anderen Christdemokraten aufgeschrieben, was falsch gelaufen ist und was verbessert werden müsste. Es ist die Beschreibung einer verschlafenen Partei, deren Abgeordnete es teilweise nicht einmal für nötig erachteten, Wahlkampf zu machen. Das Bild einer CDU-Fraktion, die im Alleingang die Diäten erhöhte und sich den Zorn der Sachsen zuzog. Das Bild einer Regierung und eines Ministerpräsidenten, der sich in der Hartz-IV-Debatte verhedderte und dann im Zick-Zack-Kurs auf seine Wahlniederlage zusteuerte. Das Bild einer Partei, die aus Filz-Vorwürfen nicht die notwendigen Konsequenzen zog. Es "fehlen zunehmend politisch versierte Köpfe", heißt es. Die Personalpolitik sei unzureichend. Geistige Führung müsse her, aufrüttelnde Ziele.
Geistige Führung? Aufrüttelnde Ziele? Über Milbradt, der für die Versäumnisse der Biedenkopf-Jahre zwar nichts kann und auch nichts für den Schlendrian, der sich in jenen goldenen Zeiten eingeschlichen hat, zieht sich momentan der ganze Frust seiner Partei zusammen wie eine böse Gewitterwolke. In Sachsen werde nur noch gespart, heißt es. Schulen schließen, Lehrer entlassen, überall Kürzungen. Wo denn das große Ziel bleibe, fragen sich etliche in der Union. Wo gehe denn die Reise eigentlich hin?
Milbradt sei ein Technokrat, sagen sogar Leute, die ihm nahe stehen. Kein "König" wie Biedenkopf, kein Landesvater, keine Ziele, keine geistige Führung, nur Alltag und Zahlen. Seine Staatskanzlei habe er in eine Wagenburg von Getreuen verwandelt. Sie sei ein Ort ohne politische Fantasie. Bundespolitisch spiele er überhaupt keine Rolle. Nichts zu hören, nichts zu sehen. Sogar der alte Herr Böhmer, der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, habe mehr zu bieten. Vom thüringischen Medien-Darling Dieter Althaus zu schweigen. Statt sich um große Dinge zu kümmern, wärme Milbradt kalten Kaffee wie das Familienwahlrecht auf oder erkläre Gehaltsstreitereien von Pressesprechern und Abteilungsleitern zur Chefsache. Das Gemaule innerhalb der CDU ist groß, ebenso die "Lust an der Selbstzerstörung und daran, alles madig zu machen", wie jemand einmal seine Partei charakterisierte.
Am 10. April steht die nächste Wahl an, vermutlich der nächste Anlass für Ärger und Gemaule. Oberbürgermeisterwahl in Leipzig, nach Berlin der größten Stadt Ostdeutschlands. Die CDU hat die Wahl gegen Amtsinhaber Wolfgang Tiefensee (SPD) längst verloren gegeben. Ein wirklicher Gegenkandidat war nicht aufzutreiben.
von Bernhard Honnigfort