Karl Nolle, MdL
Dresdner Morgenpost, 12.01.2001
Unwürdiges Chaos und Schmierentheater
Deutschland schaut auf Dresden - und schüttelt mit dem Kopf
DRESDEN. Deutschland schaut auf Dresden – und schüttelt mit dem Kopf. Das Schmierentheater um die OB-Wahl wird Tag für Tag bizarrer. Das Schauspiel linker Parteien und Kandidaten ist einer Landeshauptstadt nicht mehr würdig. Seit Monaten werden die Dresdner im Unklaren gelassen. Kandidaten kommen und gehen, was bleibt, ist ein politischer Scherbenhaufen. Die Chronik des Chaos:
Im Mai vergangenen Jahres taucht erstmals der Name Wolfgang Berghofer auf. Angeblich will die SPD den Ex-OB zurück an die Elbe holen. Die PDS ist begeistert.
Am 7. Juli kommt das bisher einzig klare Zeichen im Chaos: OB Wagner wird mit rund 88 Prozent zum CDU-Kandidaten nominiert.
Mit Karl Nolle (SPD) taucht im September ein nicht nur politisches Schwergewicht auf dem Wahlkampfparkett auf. Er sagt: „Ich will OB werden!“
Ein anderer will noch nicht. Im Oktober dementiert Berghofer alle Gerüchte um seine Kandidatur: „Das sollen mal andere machen. „ Das sah die SPD auch so. Im selben Monat nominiert die Stadtspitze Karl Nolle. Doch Ruhe kehrt nicht ein. PDS und Grüne lehnen den „Querkopf“ (Nolle über Nolle) ab.
Im November wird es immer verrückter. Christine Ostrowski (PDS), schon bei der vorangegangenen OB-Wahl gegen Wagner gescheitert, will es noch einmal versuchen. Doch wenige Tage später trifft sie sich mit Ex-Bildungsminister Rainer Ortleb (FDP). Thema des Geheimtreffens: Wie kann Wolfgang Berghofer zur Kandidatur bewogen werden? Berghofer schüttelt weiter mit dem Kopf – zumindest offiziell. „Ich habe keine Lust, mich auf eine solche Provinzposse einzulassen.“ Doch der ehemalige SED-OB ist längst deren Hauptakteur. Nolle dagegen bläst nach schlechten Umfrage-Ergebnissen zum Kampf: „Ich hole jede Woche ein Prozent auf!“
Den ganzen Dezember über herrscht vor allem bei der PDS gespanntes Warte. Kommt er, oder kommt er nicht? Doch auch nach dem Berghofer-Auftritt beim MDR-Riverboat sind die Dresdner so klug als wie zuvor.
Nach dem Jahreswechsel überschlagen sich die Ereignisse. Seine „Aufholjagd“ bricht der SPD-Mann Nolle selbst ab. „Ich wollte einem Bündnis der Parteien gegen OB Wagner nicht im Wege stehen.“ Einen Tag später kündigt Frau Ostrowski an: „Ich würde zurückziehen ...“ Für Wolfgang Berghofer – doch noch traut die PDS-Frau sich nicht, den Satz so enden zu lassen.
Wer glaubte, Berghofer würde jetzt sein Schweigen brechen, lag völlig falsch. „Herr Berghofer gibt keine Stellungnahme ab“, hieß es aus seinem Berliner Büro. Die PDS wird immer nervöser: „Er muss sich jetzt erklären“, fordert PDS-Chef Michael Schrader.
Um das Chaos endgültig perfekt zu machen, ist jetzt auch der ehemalige Kulturbürgermeister Jörg Stüdemann im Gespräch. Der wechselte erst kürzlich nach Dortmund. Aber dementieren wollte er seine Kandidatur nicht, und Anhänger hat er auch schon. „Wir unterstützen Stüdemann“, so der Stadtchef der Grünen, Jens Hoffsommer.
Nach mehr als einem halben Jahr der OB-Suche liest sich das Ergebnis wie ein Armutszeugnis: ein fester Kandidat, zwei abgesprungene Kandidaten. Und zwei „Möchtegern-Kandidaten“, die sich aber nicht äußern wollen. Ein Glück, dass das Schmierentheater spätestens am 10. Juni vorbei sein wird.
(Kai Schulz)