Karl Nolle, MdL
Freie Presse Chemnitz, 07.02.2005
„Wir wollen bayerische Verhältnisse"
Sächsische CDU-Kreisvorsitzende: Zersplitterung des Landtags gefährdet Stabilität - Kritik an Parteichef Milbradt
Meißen. In der Diskussion um die politische Situation und die Mehrheiten in Sachsen haben sich CDU-Politiker bei einem Treffen in Meißen für „bayerische Verhältnisse" ausgesprochen - und damit Ministerpräsident Georg Milbradt widersprochen. Dieser hatte die Wahlniederlage seiner CDU mit dem Wunsch vieler Sachsen erklärt, der Alleinregierung der Union ein Ende zu bereiten. Matthias Rößler sieht das ganz anders und übt sich mit dieser Meinung im Schulterschluss mit zahlreichen Parteifreunden, die er als Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Meißen eingeladen hatte.
Die Alleinregierung der CDU unter Kurt Biedenkopf habe Sachsen eine politische Stabilität verschafft, die den Wiederaufbau und die Vorreiterrolle Sachsens im Osten erst möglich gemacht habe, heißt es in einem Papier, das die Vorsitzenden sächsischer Kreisverbände mit „Aufbruch und Neuanfang" überschrieben haben. Die Zersplitterung des Landtages in sechs Parteien sowie „der Einzug linker und rechter Extremisten" und „die Notwendigkeit der Koalition mit der SPD" habe diese Stabilität erschüttert.
Deutlich üben die Kreisvorsitzenden der CDU, darunter viele aus dem Regierungsbezirk Chemnitz, Kritik am Landesvorsitzenden Milbradt. Sie erinnern an sein Papier, in dem er 2001 unter dem Titel Aufbruch statt Routine" zahlreiche Missstände beklagt hatte. Dabei ging es um eine „ungenügende Verankerung der Partei im vorpolitischen Raum" und um die „Reduzierung auf eine reine Zustimmungsrolle". Die Partei müsse zum „erwachsenen und gleichberechtigten Partner der Politik werden", hatte Milbradt damals gefordert. Geändert habe sich an diesem Zustand nichts, stellen die Kreischefs fest.
Die CDU müsse als konservative, wertorientierte und patriotische Volkspartei neu profiliert werden, lautet eine Forderung. „Als sächsische Union verkörpert sie unsere regionale Identität und den Stolz auf die traditionsreiche Geschichte unseres Landes." Daraus folgern Rößler und Co.: „Rechts von uns darf es keine in Parlamenten vertretene Partei geben. Die politische Mitte ist weitgehend durch die CDU abzudecken." Rechte und linke Extremisten sollten mit allen gebotenen politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Mitteln bekämpft werden.
Durch die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD seien Staatsregierung und Fraktion gebunden. Konsequenz aus Sicht der CDU-Kreisvorsitzenden: „Nur die Landespartei kann sich mit klaren politischen Zielstellungen von der SPD, von den ideologisch geprägten Kaderparteien PDS und NPD und von den liberal-beliebigen Kleinparteien abheben." Die CDU müsse sich als straff organisierte und in der Bevölkerung verwurzelte Partei mit allen politischen Gegnern offensiv auseinandersetzen. Zur Erneuerung der Union sei es erforderlich, wieder auf die Menschen zuzugehen und den lokalen Raum als Fundament der politischen Arbeit zu gewinnen.
Als Hauptverantwortlichen für die Niederlage bei der Landtagswahl im September 2004 macht das Thesenpapier übrigens Ministerpräsident Milbradt fest. Begründung: Der Wahlkampf sei nahezu ausschließlich auf ihn als Spitzenkandidaten zugeschnitten gewesen. Für Michael Kretschmer, Generalsekretär der CDU, fällt diese Schuldzuweisung zu einseitig aus. Sie lasse die Verantwortung für Defizite auf der kommunalen Ebene außer Acht. Ein Aufbruch der Partei könne nur gelingen, wenn die Blickrichtung zukunftsgewandt sei und die Außendarstellung Geschlossenheit verrate.
Von Hubert Kemper