Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 09.02.2005
Der personifizierte Durchschnitt
Der "Sachsen-Hitler" ist Niedersachse und wuchs in Hildesheim auf
Dresden/Hildesheim. "Sachsen-Hitler" nannte die taz vor kurzem den NPD-Fraktionschef im sächsischen Landtag. Doch Holger Apfel ist kein Sachse. Er ist Niedersachse und wuchs in Hildesheim auf. Welche Erinnerungen gibt es dort an jenen Mann, der jetzt mit seiner rechtsextremen Partei für politischen Wirbel über die sächsischen Landesgrenzen hinaus sorgt? Eine Spurensuche.
"Ich dachte, ich bekomme einen Schlag", sagt Sven Burre. "Ich sitze auf dem Sofa und plötzlich sehe ich Apfelbäckchen im Fernsehen." Solange er ihn kannte, so der ehemalige Mitschüler, hatte der damals noch etwas beleibtere Apfel diesen Spitznamen. Der steht auch in der Abi-Zeitung, Jahrgang 1991, der Friedrich-List-Schule. Dort hat der 1970 Geborene ein Wirtschaftsabitur gemacht. Und dort tat er vor allem eines: nicht auffallen. "Er war der personifizierte Durchschnitt", sagt sein damaliger Kursleiter Axel Gause. Ähnliche Formulierungen sind immer wieder zu hören: absolutes Mittelmaß, totaler Durchschnitt. Einer, den man nicht wahrnimmt, und wenn doch, gleich wieder vergisst. Unvergesslich ist allerdings seinem Geschichtslehrer, wie er Holger Apfel kurz nach dem Abitur in der Hildesheimer Fußgängerzone sah. Er verteilte NPD-Werbematerial. "Ich war total geschockt", sagt der Lehrer. Der Schüler habe nie auch nur eine Andeutung gemacht, dass er politisch rechtsaußen stehen könnte. Auch nicht, als Themen wie Nationalsozialismus und Antisemitismus behandelt wurden. "Er ist immer auf Linie geschwommen", sagt der Lehrer, der das Abdriften von Apfel fast schon persönlich nimmt. Später erfährt er, dem Verfassungsschutz war der Jugendliche als Aktivist der Jungen Nationaldemokraten schon während dessen Schulzeit bekannt. Laut Lexikon des Rechtsradikalismus gehörte er bereits seit 1990 dem NPD-Landesvorstand Niedersachsen an.
"Klar wusste man das", sagt ein weiterer Mitschüler. Nicht ohne Grund stehe in der Abizeitung zu Holger Apfel: "Ansonsten: politisch aktiv." Der Kursleiter weiß noch, wo er gesessen hat: "Ganz hinten, halb rechts." Heute sitzt er ganz vorn und ganz rechts. Und Hildesheim kann es nicht fassen. Immer wieder dieser Satz: "Wir dachten, der kommt aus dem Osten."
Der unauffällige Apfel wird erst auffällig, als er nach Wehrdienst und Lehre als Verlagskaufmann eine Stelle als Anzeigenverkäufer beim Hildesheimer Extrablatt antritt. "Ich habe ihn damals eingestellt", sagt Michael Reimers. "Er war unauffällig, weicher Typ, keinerlei Profil, hat nie widersprochen und immer gelächelt." Und, war er ein guter Verkäufer? "Nein", sagt Reimers. Seine politische Gesinnung habe der Anzeigenverkäufer nicht offenbart. Dann aber hätten Kollegen in seinem Auto Werbematerial der NPD gesehen. "Ich weiß nicht mehr, wie es genau war, aber daraufhin hat der Verlag ihm wohl nahe gelegt zu gehen", meint Reimers. 1996 verließ Apfel Hildesheim und ging nach München. Und die Hildesheimer scheinen nicht unglücklich darüber, dass er seine Schlagzeilen woanders macht. Ein heutiger Schüler der Franz-List-Schule sagt: "Rechtsradikalismus ist doch eher ein Ostproblem."
Heidrun Hannusch