Karl Nolle, MdL

Plenum des Sächsischen Landtages, 9. Sitzung, 25.02.2005

Neoliberalismus oder Wohlstand für Alle?

Rede des wirtschaftspolitischen Sprechers der SPD - Fraktion, Karl Nolle, zur aktuellen Debatte zum "Konjunkturbericht der Sächsischen Industrie und Handelskammer"
 
(Es gilt das gesprochene Wort!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren der demokratischen Parteien,

Ganz normal für ein solches Werk, wie den Kon­junkturbericht der IHK, es sind eine Vielzahl posi­tiver Entwicklungen dokumentiert, aber auch eini­ge, die nachdenklich machen. Am Schluß der Arbeit wird jedoch m. E. die sach­liche auswertende, ja die politisch neutrale Ebene verlassen. Es wird in den so genannten Schlussfol­gerungen fleißig mit neoliberaler Ideologie han­tiert, was ja nun garnicht zum Gebot der politi­schen Neutralität der IHK gehört.

IHK-Mitglieder sind nicht freiwillig einem Gesin­nungsverein beigetreten, sondern - und ich halte das für einen Anachronismus, sie wurden Zwangsmitglieder. Ich bin selber mit drei Firmen IHK Mitglied. Ich habe aber zu keiner Zeit meine Zustimmung zu neoliberal ideologischen Thesen gegeben. Hier schießen die IHK Verantwortlichen weit über das Neutralitätsgebot hinaus. Das soll nur erwähnt sein, aber ist heute, bei der kurzen Redezeit, nicht mein Thema.

Aufgabe unserer Politik ist es, künftig stärker den Weg zu mehr Nachhaltigkeit der Wirtschaft zu ge­hen, sagte ich hier an dieser Stelle vor drei Mona­ten, den Weg zu einem dynamischen Bestands­wachstum, zu einer Wirtschaft, die durch Ent­wicklung und Bestandssicherung gekennzeich­net ist, in der der Klassenerhalt ebenso wichtig ist, wie der begehrte Aufstieg. Es muss ein Weg sein zu einer Gesellschaft, in der es einen ständigem Austausch von Alt und Neu gibt, in der die nachhaltige Konsolidierung und Stabilität unserer Unternehmen und damit die Si­cherheit der sozialen Lebensgrundlagen unserer Menschen zu einem Wesensmerkmal wird.

Diese Sicherheit ist ein entscheidender Produktivi­tätsfaktor. Sie ist für die Zukunft nicht gewährlei­stet, sie wird durch solche Thesen der IHK wie sie uns auf Seite 20 des Konjunkturberichts teilweise präsentiert wird, infragegestellt. Damit Infrage gestellt sind wesentliche Grundla­gen unserer sozialen Marktwirtschaft.

Norbert Blüm kommentierte das einmal so: "Das als neoliberale Programm getarnte Trommel­feuer auf den Sozialstaat ist von ergreifender Ba­nalität, sein Credo lässt sich auf Dogmen reduzie­ren, die selbst ein Papagei verkünden kann, wenn er zwei Worte auswendig lernte - Kostensenkung und Deregulierung."

Solche Dogmen, wie Blüm sie nannte, feiern hier in den IHK Thesen fröhliche Urständ. Zitat: "Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeits-, Tarif-, und des Kündigungschutzrechtes sind zentrale Voraussetzung für die Entlastung des Arbeitsmarktes usw. Deutschland braucht einen zügigen Umbau der sozialen Sicherungssysteme.

Ich halte es für eine eklatante Fehldiagnose, un­seren Sozialstaat ausschließlich als Kostenfaktor und Wachstumsbremse und nicht als wichtigen Produktivitätsfaktor zu erkennen. Und ich wiederhole noch einmal: Garant für den inneren Frieden in diesem Land war bis heute der Sozialstaat. Er war das Funda­ment der Prosperität, er war die Geschäftsgrundlage für gute Geschäfte, er verband politi­sche Moral und ökonomischen Erfolg, er hat eine Erfolgsgeschichte hinter sich, seine Sicherheit für die Menschen war ein zentraler Produktivitäts­faktor. Der Sozialstaat braucht neue Kraft, er braucht eine Therapie, vielleicht eine Generalüberholung, auf jeden Fall Stärkung, nicht Abwicklung.

Unsere Gesellschaft wird von mehr zusammen­gehalten als nur von der Summe der Betriebswirt­schaften, so wichtig auch die Betriebswirtschaften sind.

"Kern jeder Wirtschaft und jeder Gesellschaft bleibt der Mensch. Ökonomie und Wachstum ist nicht alles, Marktregeln sind von Menschen ge­macht und nach gesellschaftlichen Maßstäben zu beurteilen." So kann man es beim führenden Ver­treter der christlichen Soziallehre, Prof. Friedhelm Hengsbach, lesen.

Bloße Wachstumsträumerei, meine Damen und Herren, greift zu kurz. Und schnelles Jubeln über auch durch Fluthilfe und Transferleistungen ge­schenktes Wachstum bringt uns nicht weiter. Es gibt auch keinen Automatismus steigender Erwerbstätigkeit bei steigendem Wirtschafts­wachstum, wie wir wissen sollten.

Vielleicht ist für die Beurteilung der Prosperität einer Volkswirtschaft eines Tages wichtiger, nicht Wachstumsraten zu vergleichen, sondern die Ent­wicklung der durchschnittlichen Familienein­kommen in einem Land, die Verteilung von Wohlstand. Geht die Schere zwischen Arm und Reich zusam­men oder auseinander? Wie ist es mit der Entwick­lung der Kinderarmut bei uns? Dazu werde ich gleich noch mehr sagen.

Ich sprach von Arm und Reich. Zur Frage des Wohlstandes sagte Franz Müntefering vorge­stern ich zitiere: "Wir wollen Wohlstand für alle. Wohlstand ist mehr als materielles Wohlergehen auf hohem Niveau. Freiheit, Friedfertigkeit, Tole­ranz, demokratisches Miteinander gehören zum Wohlstand dazu. Wohlstand für alle - das heißt: Es soll den Menschen gut gehen, sie sollen men­schenwürdig leben können, - Alle! Die Bedingungen für "Wohlstand für alle" sind klar: Soziale Marktwirtschaft, d.h. Wettbewerbs­fähigkeit, Leistungsfähigkeit und Leistungsbe­reitschaft. Gerechte Verteilungsmechanismen. Si­cherheit bei Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit.

Eigentum verpflichtet, - das gilt aber nicht nur für Unternehmer und für unternehmerisches Vermö­gen. Das gilt auch für die Fähigkeit und die Talen­te jedes Bürgers und jeder Bürgerin. Wirtschaft ist für die Menschen da, nicht umgekehrt. Viele Un­ternehmer halten sich auch im Zeitalter der Globa­lisierung daran, leider nicht alle. Und dann sagte Müntefering: "Die Zähmung des Kapitalismus, der längst international agiert, bleibt unsere Aufgabe weltweit.

Diese Aufgabe darf nicht ablenken von konsequenter nationaler Wirt­schaftspolitik, aber sie darf auch nicht gering ge­schätzt werden." Wichtig für das Vertrauen in unsere Politik ist, dass wir an der Idee der Wirtschaftsdemokratie festhalten. Sie besagt, dass Menschen nicht dem Markt ausgeliefert sind, sondern ihn mitgestalten können. Mitbestimmung und Betriebsverfassung sind zentral für die demokratische Kultur unseres Landes. Sie sind bescheiden genug und nicht verzichtbar."

Meine Damen und Herren, auch das sind doch Gedanken, die einem Sozialdemokraten beim le­sen der IHK Thesen kommen können.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.